Die Behandlung: Roman (German Edition)
vermuten, dass wir ganz wild auf Sex sind? Ja, als Paar machten sie nicht viel her, trotzdem glaubte Hal, dass nur wenigen Leuten eine so wundervolle Beziehung beschieden war wie ihnen beiden. Die Vorstellung, dass er sie einmal verlieren könnte, bereitete ihm Bauchkrämpfe.
»Papi hat gefurzt«, sagte Josh nach dem Abendessen. Er stand vor dem Kühlschrank, um seine abendliche Schokoladenration herauszuholen. »Er furzt ständig. Er kann auf Kommando furzen.«
»Wohl neidisch – was?«
»Ha-al – Jo-osh, um Himmels willen, was redet ihr denn da?«
Hal stützte sich mit beiden Händen auf die Arbeitsfläche, verzog das Gesicht und ließ einen fahren. Josh hielt sich kichernd die Hand vor den Mund.
»Oh – tut mir Leid«, entschuldigte sich Hal. »Das wollte ich nicht.«
Benedicte schüttelte den Kopf. »Und ob.«
»Nein, echt nicht.«
»Und was wolltest du dann?«
»Sollte eigentlich etwas lauter sein – ungefähr so …«
Josh rannte kreischend vor Lachen durch die Küche, und Ben wandte sich kopfschüttelnd ab. » Null Punkte für die Kür: Norwegen.« Sie wickelte die restliche Tafel Schokolade wieder ein und legte sie zurück in den Kühlschrank. »Und null Punkte für Originalität. Und hör auf, hinter meinem Rücken Grimassen zu schneiden.«
Hal lächelte. Jedenfalls konnte er seine Frau noch zum Lachen bringen. Während sie mit Josh zum Zähneputzen ins Bad ging, goss er zwei Tassen Kaffee ein und schaute dann durch die Tür in den Garten hinaus. Draußen vor der Küche befand sich eine Zedernholzterrasse, von der aus man über wenige Stufen in den Garten gelangte. Der Garten – im Grunde genommen eine große Rasenfläche – war mit einem zwei Meter hohen Zaun eingefasst. Die Familie Church konnte sich also eigentlich auf ihrem mühsam erworbenen Fleckchen Erde im Süden Londons wie in Abrahams Schoß fühlen. Aber natürlich waren die neuen Nachbarn noch nicht eingezogen. Klar – wenn sie wollten, konnten ihn diese Leute künftig beim Rasenmähen beobachten und den kleinen Josh, wenn er im Planschbecken spielte.
Er blickte zu den – mit Klebestreifen markierten, dunklen – Fenstern des Nachbarhauses hinauf und ließ dann den Blick in die Ferne schweifen, wo der Arkaig und der Herne Hill Tower auf der anderen Seite des Parks in den Himmel wuchsen. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er trotz des Sicherheitszaunes und der Alarmanlage mit seiner kleinen Familie weiterhin in Brixton wohnte. Hal erschauderte unwillkürlich, als ihm von der anderen Seite des Zauns der dunkle Park hungrig entgegenstarrte. Ja, es kam ihm fast vor, als ob es plötzlich kälter geworden wäre. Er ging ins Haus zurück und schloss hinter sich die Tür ab. Nach allem, was in den vergangenen Tagen dort vorgefallen war, konnte er den Park nicht mehr ausstehen.
Caffery und Durham saßen noch spätabends in dem ansonsten verlassenen Büro. Von draußen klang das gespenstische Jaulen der Sirenen herein und die Musik aus den Autoradios in den dunklen Straßen. Doch die beiden Männer hörten nichts von alledem. Sie waren völlig in die Keoduangdy-Akte vertieft: Sie betrachteten das Phantombild des Täters, sie versuchten, Informationen über Champs Aufenthaltsort zu bekommen, und hielten im Vorstrafenregister und im Wählerverzeichnis nach seinem Namen Ausschau. Es gab drei Keoduangdys in Birmingham und zwei in Ostlondon, jedoch mit anderen Vornamen. Trotzdem schickten sie Faxe nach Plaistow im Osten Londons und nach Solihull bei Birmingham und führten zahllose Telefonate. Drau ßen war es mittlerweile dunkel.
Der Mann, der Champ damals missbraucht hatte, war niemals gefasst worden. Champ hatte zu der Zeit in der Coldharbour Lane gewohnt – ein hübscher kleiner Kerl, und die Erklärung, die er für seinen Aufenthalt im Brockwell Park vorgebracht hatte, war nicht sehr überzeugend gewesen. Seine Aussage steckte voller Widersprüche und Halbwahrheiten.
»Doch eines wusste er ganz genau«, sagte Durham, »nämlich dass der Täter Fotos gemacht hat. Zwischendurch ist er ohnmächtig geworden. Und als er wieder aufgewacht ist, hat er als Erstes ein Blitzlicht gesehen … oh, und dann ist da noch was.« Er kratzte sich am Kinn. »Der Kerl hat mehrmals eine völlig idiotische Frage an ihn gerichtet.«
»Und was?«
»Magst du deinen Papi?«
»Magst du deinen Papi ?«
»Ja, genau – magst du deinen Papi? Das ist natürlich Schwulen-Jargon. Aber sonst konnte er sich an nichts mehr erinnern. War keine große Hilfe bei
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