Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
Verletzt? Arme, arme Becky!« Sie sprang auf und holte das Champagnerglas aus der Küche, kam schwankend zurück in das Wohnzimmer und verdrehte, die Finger gespreizt, ihre freie Hand vor dem Gesicht – ein Shiva mit langen Fingernägeln, der auf dem nackten Boden tanzte. »Verletzt – du blöde Kuh, verletzt, verletzt , verletzt!« In einer alten Dose auf dem Kaminsims war noch etwas Gras. Sie drehte sich singend einen Joint, nippte an dem Wodka und spürte, wie ihre Zunge immer tauber und belegter wurde. Sie ließ sich auf die Knie nieder, stellte das Glas auf den Boden, zündete den Joint an, nahm ein paar Züge und wälzte sich dann, die Hände vor den Augen, am Boden. »O Gott, o Gott, o Gott.«
    Ja, sie saßen in der Patsche, sogar ganz tief in der Patsche: Jack, der sich wegen Ewan innerlich zerstörte – wie schrecklich, dass vielleicht bald alles aus war -, und auf der anderen Seite des Schlachtfelds stand sie mit zusammengepressten Lippen und geschlossenen Augen. Jack erwartete von ihr lediglich, dass sie endlich einmal darüber sprach, dass sie sich im Gespräch endlich von ihren Erinnerungen frei machte. Ich mache dir daraus keinen Vorwurf, Jack, nein, überhaupt nicht. Sie würde ja so gerne mit ihm darüber sprechen – wirklich. Aber sie konnte es einfach nicht, und genau das war der Punkt. Denn Jack wusste Folgendes nicht: Als damals nach Jonis Ermordung die Ermittlungen begonnen hatten, als er selbst – Jack – im Krankenhaus ihre Aussage aufgenommen und sie sanft gedrängt hatte, seine Fragen zu beantworten, als sie sich durch gespielte Weinkrämpfe um gewisse Fragen des Amtsarztes herumgedrückt hatte – da hatte sie die ganze Zeit gelogen. Ja, selbst was sie vor der Presse zum Besten gab, war nichts als gelogen. Doch sie brachte es einfach nicht über sich, die banale Wahrheit auszusprechen – nicht einmal vor sich selbst. Sie legte die Arme neben sich auf den Boden und starrte zur Decke hinauf. In Wahrheit war es nämlich so, dass sie sich an die Vergewaltigung vor einem Jahr in dem kleinen Bungalow in Kent überhaupt nicht erinnern konnte.
     
    Das Pflaster strahlte die Hitze des Tages ab. Er war bereits eine halbe Stunde unterwegs, als er sich plötzlich seiner Umgebung bewusst wurde. Ja, in der Straße, durch die er gerade hindurchtrabte, stand Pendereckis Haus. Er hatte diesen Weg ganz mechanisch eingeschlagen, ohne darüber nachzudenken – wie von einem inneren Kompass getrieben. Er verlangsamte sein Tempo und betrachtete die Häuser.
    Die Umgebung erinnerte an eine dieser merkwürdig gepflegten Straßen, in denen man sich plötzlich wie am Meer fühlt und fest damit rechnet, in einem der Fenster ein »Zimmer zu ver mieten«-Schild zu entdecken. Pendereckis Haus lag etwa in der Mitte der Straße und stand mit den übrigen Anwesen in einer Reihe, doch in Cafferys Bewusstsein hatte es einen solch exponierten Stellenwert, dass es ihm zwischen den übrigen Häusern geradezu entgegenleuchtete. Als er das Grundstück erreicht hatte, blieb er auf dem Gehsteig stehen und legte keuchend und schweißgebadet die Hände auf das Gartentor. So stand er einige Sekunden vornübergebeugt da.
    Dann richtete er sich auf und blickte an dem Haus hinauf. Wie lange mochte es noch dauern, bis einer seiner Kollegen hier an diese Tür klopfte und sich bei Penderecki nach dem Troll erkundigte? Wie lange – bis Dannis Freundin Paulina mit ihrem klugen Köpfchen die Parallelen zwischen dem Fall Rory und der über zweieinhalb Jahrzehnte zurückliegenden Entführung seines Bruders Ewan entdeckte? Wieder erschien vor seinem inneren Auge jenes unterirdische Netzwerk, das diesen Penderecki garantiert irgendwie mit dem Troll verband.
    Er stand jetzt völlig aufrecht da. Irgendetwas an Pendereckis Haus kam ihm an diesem Abend merkwürdig vor. Im Bad brannte wieder Licht, und auch die riesige rot-gelb-grau leuchtende Laterne hing immer noch dort. Fast wollte es ihm so scheinen, als ob sie inzwischen noch größer geworden wäre. Er zog die Stirn in Falten, stand einen Augenblick unschlüssig da und drückte dann langsam die Pforte auf.
    Bislang hatte er sich Pendereckis Haus noch nie von dieser Seite genähert. Wenn er sich in der Vergangenheit – selten genug – an das Haus herangepirscht hatte, war er stets von hinten und im Schutz der Dunkelheit gekommen. Schließlich war Penderecki ein Verbrecher und kannte natürlich seine Rechte inund auswendig. Ja, der Mann hätte ihm, ohne mit der Wimper zu zucken,

Weitere Kostenlose Bücher