Die Behandlung: Roman (German Edition)
Buch vor Jahren einmal zufällig in einem U-Bahn-Kiosk entdeckt. Hocherfreut ging er mit seinem Fund in die Küche, wischte das Buch dort ab, machte sich einen Drink und begab sich dann ins Wohnzimmer. Draußen war es dunkel und hell zugleich: Bis zum Horizont türmten sich riesige Wolkengebilde auf, zwischen denen nur hier und da die Sonne hindurchblitzte. Alle paar Minuten ging ein prasselnder Regenguss nieder. Doch Roland Klare bekam nichts mit von alledem. Er holte sich einen Stift und Papier, ließ sich – mit dem Rücken zum Fenster – auf das Sofa sinken und fing an zu lesen.
11. KAPITEL
Erst gegen Abend fand Caffery Zeit, Detective Inspector Durham einen Besuch abzustatten. Er lenkte seinen Wagen gegen den Verkehrsstrom und fuhr über Beulah Hill, wo die Auffahrten zu den feudalen Anwesen mit Kies befestigt, die Straßen so breit waren wie französische Boulevards und von den Zweigen der Rosskastanien der Saft auf das Pflaster tropfte. In Norwood lagen die Häuser dann schon näher an der Straße, und als er schließlich in Brixton die Water Lane erreichte, befand er sich wieder mitten im Großstadtdschungel.
In Zentralbrixton herrschte dichter Verkehr. Er parkte abseits der Acre Lane in einer Nebenstraße und ging zu Fuß weiter. Die Bässe der Auto-Stereoanlagen hämmerten so brutal laut, dass sein Zwerchfell zu flattern anfing. Merkwürdig, die Vorstellung, dass der Brockwell Park nur rund einen Kilometer entfernt war. Hätte sich Rory Peach auf seinem Ast aufrichten, aus seinem Baum herabblicken können – Seinem Baum? Seinem Baum? Klingt ja fast, als ob er freiwillig dort hinaufgestiegen wäre -, dann hätte er direkt auf dieses dunkle Gewirr verfallener Großstadtpracht geblickt. Jedenfalls war das Schwein, das Rory oben auf diesem Baum festgebunden hatte, im Knast gewesen. Was wiederum bedeutete, dass der Kerl dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Kontakte gehabt hatte und in einer geschlossenen Abteilung gewesen war, in der pädophile Netzwerke geknüpft und lebenslange Freundschaften geschlossen wurden. Also musste er – Caffery – einen Beamten beauftragen, die Pädo-Datei und Kryotos’ Ergebnisse sorgfältig zu durchforsten, mit aktenkundigen Pädophilen in Brixton und Umgebung zu sprechen und sich an irgendeinem Punkt Zugang zu diesem Netzwerk zu verschaffen. Er dachte an die unsichtbaren Fäden, die alle Perversen irgendwie miteinander verbanden. Und natürlich fiel ihm – wie sollte es auch anders sein? – wieder dieser Penderecki ein.
Penderecki. Auf dem Weg zu seiner Verabredung mit Detective Durham dachte er über den Mann nach. Ja, eigentlich sollte man sich das Schwein mal richtig vornehmen. Aber wenn …?
Durham empfing ihn sehr herzlich. Der Mann konnte sich noch gut an die 89er Geschichte erinnern. »Ja, ja – der kleine Champ. Schreckliche Sache.« Vor dem Bürofenster stand eine Straßenlaterne, die plötzlich rot aufflammte. Durham trug ein marineblaues Hemd und einen karierten Schlips und arbeitete bereits seit fünfzehn Jahren in Brixton. Wenn er sprach, machte er sich ständig mit den Fingern an seinem Doppelkinn zu schaffen, drückte und massierte es, als ob ihn sein Vorhandensein noch immer verblüffte. »Das hier hab ich für Sie ausgegraben.« Er machte den Aktenschrank wieder zu, legte einen Ordner vor Caffery auf den Schreibtisch und nahm ihm gegenüber Platz. »Geht es um die Peach-Geschichte? Sehen Sie da eine Verbindung?«
»Weiß ich noch nicht.« Caffery schlug die Akte auf. November 1989: Der elfjährige Champaluang Keoduangdy war damals im Brockwell Park sexuell missbraucht und so schwer verletzt worden, dass er mehrere Tage im Krankenhaus verbringen musste. »Ich habe nach einem Perversen gesucht, den man den ›Troll‹ nennt, und bin dabei auf diesen Fall gestoßen.«
»Da könnten Sie einen Treffer gelandet haben. Hier steht alles drin, was unsere Ermittlungen ergeben haben.« Durham erhob sich, beugte sich über den Schreibtisch und zog mit Daumen und Zeigefinger Champs Aussage zwischen den übrigen Papieren hervor. »Ja, genau. Dieses Wort hat Champ damals ins Spiel gebracht: Troll. Keine Ahnung, wieso.« Er hielt inne. Caffery war auf der Sitzfläche seines Stuhls nach vorne gerutscht, stützte sich mit den flachen Händen auf den Schreibtisch und starrte gebannt in die Akte. »Alles okay?«
Caffery las schweigend weiter. Er fühlte sich, als ob ein Raubtier ihn von hinten angefallen hätte. Vor ihm lag der
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