Die Behandlung: Roman (German Edition)
augenblicklich ein Verfahren wegen Hausfriedensbruch an den Hals gehängt. Der Vorgarten war ein einziges Blütenmeer: vor allem hellrosa leuchtende Malven mit hauchzarten Blüten, die an kandierte Früchte erinnerten und sich im Wind wiegten. Am Fuß der beiden Stufen blieb Caffery stehen.
In der Haustür war noch immer die alte Bleiverglasung zu bestaunen: ein Hügel und eine Windmühle samt dunkel hinterlegten Sonnenstrahlen. Als er die zwei Stufen hinaufstieg, hörte er es bereits: das Summen feucht-klebriger saugender Insektenleiber, die überall ihre – Millionen – Eier ablegten, winzige Leiber, die das in Glas gegossene Sonnenlicht verdunkelten. Augenblicklich war ihm klar: Was immer auch in Pendereckis Bad hängen mochte – eine chinesische Laterne war es auf keinen Fall.
Rebecca erinnerte sich nur an Folgendes:
Nacht. Sie liegt mit Jack im Bett.
Morgens wachen sie auf. Es regnet.
Nachdem Jack zur Arbeit gegangen ist, frühstückt sie Kaffee und Toast.
Sie bemerkt, dass Joni nicht nach Hause gekommen ist.
Sie telefoniert herum und findet heraus, dass Joni sich in Bliss’ Wohnung aufhält.
Sie zieht eine alte Shorts und ein T-Shirt an und fährt mit dem Rad zu seiner Wohnung.
Nichts.
Nichts.
Nichts.
Ein Lichtstrahl und irgendwas – ein Messer? Ein Haken?
Nichts.
Nichts.
Wieder ein Licht – ein Arzt leuchtet ihr in die Augen.
Nichts.
Nur ein kleiner Stich – halten Sie still, es tut nicht weh.
Nichts.
Jack, der sich – auf dem Weg zu Essex’ Beerdigung in einem geliehenen schwarzen Anzug – im Krankenhaus über das Bett beugt.
Wieder Jack. Bei der Vernehmung. Als sie sich die Hand auf das Gesicht legt und sich schämt, dass sie sich an nichts erinnern kann, sieht er sie mitfühlend an und versucht, ihr die Antwort zu erleichtern.
Hast du gesehen, wie Bliss Joni weggebracht hat?
Weggebracht?
Ja, ich meine, nach vorne in den Gang, wo wir sie gefunden haben.
Ach so, das meinst du. Ich – ja... also, das hab ich gesehen. Er hatte sie auf dem Arm.
Rebecca schien nicht so leicht zu erschüttern zu sein: Sie trug diese Aura wie einen leuchtenden roten Wintermantel spazieren – mal völlig nonchalant, mal mit einer gewissen Befangenheit. Aber sie war immer da – diese Aura. Sie wusste, dass sie deswegen mitunter spröde wirkte, wusste aber auch, warum sie sich so präsentierte. Schon in ganz jungen Jahren hatte sie sich dieses Auftreten wie eine Schutzhaut übergestreift – als sie begriffen hatte, dass sie weder ihren Vater von seinen obskuren metaphysischen Selbstrechtfertigungen abbringen noch ihre Mutter aus ihren Depressionen herausholen konnte. Eine Journalistin hatte Rebecca deshalb einmal treffend als »Tochter eines englischen Professors und einer klinisch-depressiven Schönheit« beschrieben. Rebecca hatte eine Weile gebraucht, bis sie begriff, dass dieser familiäre Hintergrund die Ursache dafür war, dass sie sich nicht zu ihrer Gedächtnislücke bekennen konnte: Schließlich wäre das dem Eingeständnis gleichgekommen, dass ihre selbstbewusste Persönlichkeit nur eine Lüge war, dass sie damals in jener Situation ihrer selbst nicht mehr mächtig – diesem Bliss völlig ausgeliefert – gewesen war. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie die Kraft aufbringen würde, über dies alles in Ruhe mit Jack zu sprechen. Wie ist es nur möglich, dass du dich an die Situation nicht mehr erinnern kannst?
Seit einem Jahr weigerte sie sich jetzt schon, über jenen Tag zu sprechen. Bis Jack gesagt hatte: Kannst du bitte mal versuchen, dir vorzustellen, wie es für mich war, als ich dich damals gefunden habe und du an diesem verdammten Scheiß-Haken unter der Zimmerdecke gebaumelt hast? Erst bei dieser Gelegenheit hatte sie etwas darüber erfahren, was an jenem Tag in Kent mit ihr passiert war. Und jetzt konnte sie die Vorstellung einfach nicht mehr ertragen, Jacks Gesicht über sich zu sehen, weil sie ständig Angst hatte, plötzlich wieder die Visage von diesem Malcolm Bliss vor sich zu haben. Ja, irgendwas rumorte in ihr, verbot ihr, sich ganz einfach entspannt auf den Rücken zu legen oder auch nur eine Nacht wirklich durchzuschlafen. Sie drehte sich auf den Bauch und erhob sich dann aus dem Bett. Ja, für Rebecca war es wahnsinnig wichtig, dass niemand die Wahrheit erfuhr.
Er fand Rebecca zu Hause schlafend vor – oder jedenfalls tat sie so. In einem Aschenbecher, der neben dem Bett auf einem aufgeschlagenen Kunstmagazin stand, lagen zwei
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