Die Behandlung: Roman (German Edition)
der Besprechung die Aufgaben neu verteilt: Ein paar Beamte sollten sich in Brixton umhören und dort in Anwesenheit einer Dame vom Jugendamt Kinder befragen. Vielleicht ließ sich ja etwas Neues über den geheimnisvollen »Troll« in Erfahrung bringen. Eine andere Gruppe sollte Kryotos bei der Suche nach Champaluang Keoduangdy unterstützen. Ein drittes Team schließlich wurde beauftragt, sämtliche registrierten Pädophilen der Gegend gründlich auszuquetschen. Die Beamten sollten das ohnehin schon brüchige Pädophilen-Netzwerk im Londoner Süden noch weiter aufdröseln – hier ein wenig Druck ausüben, dort etwas nachhelfen, bis sie hoffentlich irgendwo auf eine undichte Stelle stießen. Aus diesem Grund sollten auch zwei Beamte von der Pädo-Abteilung von Scotland Yard mit von der Partie sein. Souness’ Freundin Paulina, die als Ermittlerin in der Abteilung arbeitete, hatte die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und sich freiwillig für den Einsatz gemeldet.
Caffery fand es merkwürdig, dass während der Besprechung anscheinend nur zwei der Anwesenden etwas von seiner psychischen Verfassung mitbekamen. Eine dieser beiden Personen war natürlich Kryotos, die ein untrügliches Gespür für sein Befinden hatte und ihn von ihrem Schreibtisch aus schweigend beobachtete. Die andere war Paulina, die er bisher nur ein paar Mal gesehen hatte.
Sie trug ein modisches taubenblaues Kostüm und saß wie eine edle Porzellanfigurine auf einem der Schreibtische. Während sie mit kühler Eleganz eine Zigarette rauchte, inspizierte sie mit ihren aquamarinblauen Augen die Räumlichkeiten, in denen Souness ihren Arbeitstag verbrachte. Caffery hatte das Gefühl, dass Paulina sofort den Blick auf ihn richtete, wenn jemand das Pädophilen-Netzwerk erwähnte. Ja, fast hätte es so aussehen können, dass sie wusste, was er in der vergangenen Nacht getan hatte – als ob sie seine Gedanken lesen konnte. Schließlich hatte sie Souness auch erzählt, dass er – Caffery – seit ewigen Zeiten hinter diesem Penderecki her war. Deshalb erwartete er schon beinahe, dass sie davon anfangen, ihren irritierenden Blick auf ihn richten und sagen würde: »Vielleicht kann Mr. Caffery uns ja weiterhelfen – vielleicht kennt er jemanden, der uns einen Tipp geben könnte.«
Sie inspizierte ihn so ungeniert, dass er sich augenblicklich in sein Zimmer verzog, als die Besprechung zu Ende war, und die Tür hinter sich zumachte.
Die Krähen erinnerten Rebecca an einen Schwarm Fische – wie sie so auf dem Luftstrom dahinschaukelten, im Zickzack über die niedrigen Dächer von Greenwich schossen; immer wieder blitzte in der Sonne das schwarz schillernde Gefieder der merkwürdigen Vögel auf. Rebecca saß an ihrem Ateliertisch und beobachtete die Vögel – neben sich eine Tasse Kaffee und ein Zigarillo, das im Aschenbecher verglomm. Sie fröstelte.
Sie befand sich in den Räumen, in denen sie bis zu dem Überfall gemeinsam mit Joni gewohnt hatte. Bis zu dem Tag, als dieser Malcolm Bliss Joni das Rückgrat gebrochen hatte und Rebecca … »O Gott.« Sie erschauderte und zog an dem Zigarillo. Sie wusste, dass sie sich unbedingt etwas Neues suchen, die Wohnung so schnell wie möglich aufgeben musste – mit all den Gerüchen und Erinnerungen und der Treppe, die zu Jonis Zimmer hinaufführte. Aber es war ja so einfach , mal eben zu Jack hinüberzugehen und es sich in seinem Haus bequem zu machen: morgens zu hören, wie er duschte, und wenn er abends nach Hause kam, den rauchig-urbanen Duft seines Anzugs zu riechen, seine schweißnassen Arme zu bewundern, wenn er vom Jogging zurückkam, in der Nacht seinen muskulösen Bauch an ihrem Körper zu spüren. Ja: Und dann ist da natürlich noch seine Obsession, die ihn wahrscheinlich in den Untergang treiben wird.
Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und blickte sich um. Die Fensterläden standen offen, auf den polierten Eichendielen zeichneten sich längliche Lichtsäulen ab. An an der Wand rechts von ihr waren auf einem Tapeziertisch die Skulpturen aufgereiht, die schon bald in einer Galerie ausgestellt werden sollten. Wie kleine Männer oder kleine Türme. Lächerlich. Jack hat völlig Recht. Sie sind lächerlich. Links von ihr lehnten ihre alten Bilder an der Wand, die Jack so sehr mochte – die Bilder, die sie vor jenem Tag gemalt hatte. Die beiden Arten von Kunstwerken hatten nichts miteinander gemein, sie gehörten verschiedenen Welten an. Links die alten, rechts die neuen Arbeiten. Und dazwischen –
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