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Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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endlich gelungen war, stellte er fest, dass sich die Kassette nur jeweils um eine Viertelumdrehung vorwärts bewegen ließ. Aber er hatte an diesem Tag reichlich Geduld. Er atmete tief ein, schloss die Augen und ließ seine Finger in der Dunkelheit arbeiten. Mit der linken Hand prüfte er, ob der Transportmechanismus sich bewegte, während er mit der rechten die Rolle vorsichtig weiterdrehte.
    Mit seinen Riesenpranken brauchte Roland Klare über eine Stunde, um den Film ganz aufzuwickeln. Als er schließlich fertig war und die Rolle mit dem Daumennagel aus ihrer Verankerung zog, waren seine Finger fast taub. Er zog die Kamera aus dem Sack und überprüfte den Transportmechanismus, der zu seiner Überraschung plötzlich funktionierte. Er musterte die Kamera mit einem erstaunten Blick und ließ den Mechanismus ungläubig mehrmals vor- und zurückschnellen. Seit er den Film herausgenommen hatte, arbeitete die Kamera wieder tadellos. Möglich, dass sie gar nicht so schwer beschädigt war, wie er angenommen hatte. Oder vielleicht war auch der Film nur falsch eingelegt gewesen. Hocherfreut, dass die Pentax noch funktionierte, legte er sie wieder in die Keksdose, konzentrierte sich dann erneut auf seine lederne Hilfskonstruktion und schüttelte sie leicht.
    Die Filmrolle war in dem Sack jedenfalls erst einmal sicher aufgehoben, allerdings musste Klare sich eingestehen, dass er nicht weiterwusste. Also musste er noch mal in dem Buch herumblättern. Er seufzte. Ja, er war völlig geschafft und brauchte unbedingt eine Pause. Deshalb trug er den Sack in das dunkle Schlafzimmer hinüber, legte ihn dort auf den Boden, ging dann wieder ins Wohnzimmer und öffnete die Jalousie. Die Sonne stand inzwischen hoch über dem Park. Er ließ den Blick über das im gleißenden Licht flirrende Laubdach schweifen.
     
    Caffery stand unweit der Shrivemoor Street in einer Nebenstra ße in einer Telefonzelle. Ein Stück weiter vorne sah er Souness’ und Paulinas roten BMW, in dessen Lackierung sich das Sonnenlicht spiegelte. Er rief das Revier in Brockley an, um dort anonym Pendereckis Ableben zu vermelden: »Meine Frau hat schon seit Tagen einen älteren Nachbarn nicht mehr gesehen – würden Sie wohl so freundlich sein …« Danach fühlte er sich etwas besser, als ob plötzlich ein kleiner Teil der Last von ihm gefallen wäre. Trotzdem kostete es ihn wahnsinnige Mühe, sich auf die anstehenden Ermittlungen zu konzentrieren und in Gedanken nicht ständig nach Brockley abzuschweifen, wo die dunklen Schatten der Vergangenheit sich wie Blei über den Bahndamm gesenkt hatten.
    Souness war gerade zum Frühstück gegangen, und die wenigen Beamten, die es bereits um diese frühe Zeit ins Büro verschlagen hatte, wirkten irgendwie bedrückt. Sie kamen mit den Ermittlungen einfach nicht weiter, und die glücklichen Zufälle, die bisweilen die Polizeiarbeit erleichtern, waren bisher nicht eingetreten. Ja, sie waren mit ihrem Latein am Ende. Wie es weitergehen würde, war klar: Die Spuren würden allmählich verblassen, und außerdem konnte man fast sicher sein, dass man bestimmte wichtige Verbindungslinien schlicht übersehen hatte. Was sie jetzt unbedingt brauchten, war eine DNS-Analyse, doch das Labor hatte sich noch nicht gemeldet.
    Kryotos war es nicht gelungen, Champaluang Keoduangdy aufzuspüren. Doch sie hatte Caffery ein blau-weißes Kuvert auf den Schreibtisch gelegt. Er ging mit einer Tasse Kaffee in sein Zimmer und schüttelte den Inhalt des Umschlags vor sich auf den Tisch. Dabei kamen zwei Polaroidfotos mitsamt Vergrößerungen zum Vorschein: die Fotos, die 1989 in der Half Moon Lane in einem Mülleimer aufgetaucht waren. Obwohl er die Bilder sehnsüchtig erwartet hatte, konnte er sich jetzt nicht richtig darauf konzentrieren. Immer wieder schweiften seine Gedanken ab, und er sah das Haus auf der anderen Seite des Bahndamms vor sich: die Treppe, die Schränke. Es muss in der verdammten Bude noch ein anderes Versteck geben.
    »Hör endlich auf mit dem Quatsch.« Er drehte sich eine Zigarette und stellte seine Füße auf den Boden. Verdammt noch mal, er musste sich endlich konzentrieren. Er setzte die Brille auf.
    Auf dem ersten der beiden Polaroids war ein vielleicht acht-, neunjähriger kleiner Junge zu sehen. Dass es sich um einen Jungen handelte, sah Caffery sofort, denn das Kind war unterhalb der Taille nackt. Ansonsten war nicht zu erkennen, ob auf dem Foto ein Junge oder ein Mädchen abgebildet war, da das Kind den Kopf ein wenig zur

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