Die beiden Seiten der Münze (German Edition)
Therese säuselte: „Träum etwas Schönes!“ Lynn grinste: „Ja, du mich auch! Gute Nacht!“
Lynn duschte, wusch sich die Haare und wickelte sich in ihren flauschigen Bademantel. Als sie ihre Zähne putzte, betrachtete sie im Spiegel ihre Augen. „Du hast schöne Augen.“ Lächerlich, an ihren Augen war absolut nichts Besonderes. Lynn fühlte trotz alledem ein angenehmes Prickeln in ihrer Bauchgegend. Beschwingt legte sie sich ins Bett, war jedoch zu aufgedreht um zu schlafen. Im Fernsehen lief wie so oft nichts Interessantes. Also griff sie zu Cedric's Buch. Es war irgendwie aufregender ein Buch zu lesen, wenn man den Autor persönlich kannte. Trotzdem konnte sie sich nicht richtig auf den Text konzentrieren. Lynn ließ den Tag noch einmal Revue passieren und hatte das Gefühl als ob sich die Gedanken an Cedric wie ein Parasit in ihrem Gehirn festsetzten.
Es war, als ob irgendetwas unter ihre Schädeldecke kriechen würde. Kein gutes Gefühl, eher beunruhigend. Lynn legte das Buch wieder weg und versuchte einzuschlafen. Der Schlaf wollte sich bis weit in die Morgenstunden nicht einstellen, unruhig wälzte sie sich hin und her. Endlich schlief sie doch ein, wurde aber wenig später schon durch das Radio geweckt.
Völlig benebelt und verschlafen quälte sich Lynn aus dem Bett. Dienstag, Teammeeting um 8 Uhr. Das bedeutete Beeilung. Sven hasste nichts mehr als Unpünktlichkeit beim wöchentlichen Teammeeting. Nach einer schnellen Dusche und dem Anziehen lief sie die Stufen hinab. Ihre Straßenbahn fuhr gerade davon. Das war gar nicht gut, ein Blick auf das Display an der Station zeigte an, dass die nächste erst in 10 Minuten kommen würde. Lynn wurde panisch. So schnell sie konnte, lief sie zum nächsten Taxistand und gab dem Fahrer die Adresse ihres Büros mit dem Hinweis, dass sie es schrecklich eilig hätte. Drei Minuten vor acht sprang sie schließlich aus dem Taxi und hastete die Treppen bis in den zweiten Stock hinauf.
„Schnell, mach schon“ rief Sven, der sie am Ende des Ganges vor dem Besprechungszimmer erwartete. Lynn stürzte ins Zimmer und stolperte fast über den Geschäftsführer. Sie erwischte ihn zwar nur mit dem Ellbogen, das reichte aber aus, um einen großen Kaffeefleck aus seiner Tasse auf seiner Krawatte zu produzieren.
„Herr Burgholzer, tut mir schrecklich leid“ stammelte Lynn mit hochrotem Kopf. Sven stand an der Tür, verdrehte die Augen und lief in die Küche um einen Lappen zu holen. Lynn stand nur da und starrte dem Geschäftsführer ins Gesicht.
Die nächste Stunde war an Peinlichkeiten nicht zu überbieten. Herr Burgholzer zupfte die ganze Zeit missmutig an seiner Krawatte herum. Man erwartete offensichtlich von ihr, dass sie sich über das neue Computerprogramm informiert hatte. Lynn hatte keine Ahnung, die beredten Blicke der beiden Männer sprachen Bände.
Nach dem Meeting schlich Lynn ziemlich kleinlaut aus dem Besprechungszimmer. Sie zitterte leicht vor Nervosität und holte sich erst mal einen Kaffee aus der Küche bevor sie ihren Arbeitsplatz ansteuerte. Sie setzte sich vor ihren Computer und begann mit ihrer Arbeit. Berge von Papier türmten sich auf ihrem Schreibtisch und Lynn interessierte eigentlich kein Stück davon. Langsam sortierte sie einen Zettel nach dem anderen, Beleg um Beleg, Nummer nach Nummer. Ihre Gedanken galoppierten schon wieder davon. Plötzlich wünschte sie sich, das Telefon würde läuten, so wie gestern.
Doch da war nichts, kein Klingeln, nichts. Eigentlich hatte sie das ja auch gar nicht erwartet, doch anscheinend war in einem der hintersten Winkel ihres Gehirns ein Fünkchen Hoffnung gewesen. Hoffnung worauf? Darauf, dass jemand, den sie kaum kannte, anrief? Lynn wusste genau, warum das plötzlich so wichtig für sie war. Es ging um einen einzigen Satz. „Du hast schöne Augen“ Schon bei dem Gedanken daran fühlte sie sich besser. So sollte sie sich aber nicht fühlen, nicht deswegen. Eine Frau mit Selbstachtung hätte das Kompliment als eines von vielen zur Kenntnis genommen, nicht mehr. Etwas in Lynn hungerte nach Anerkennung, je mehr desto besser. Sie fragte sich, ob sie wirklich so jämmerlich war. Anscheinend schon.
„Lynn, du konzentrierst dich jetzt endlich“ sagte sie energisch zu sich selbst. Die Selbstgeißelung musste warten. Sie hatte heute Abend noch genug Zeit dafür. Der Rest ihres Arbeitstages schlich zäh dahin. Belege, immer nur Belege. Einer nach dem anderen. Das würde ihr
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