Die Belagerung der Welt - Romanjahre
monarchistisch-katholischen Roth (Kaiserheimweh-Roth), wie er auf seinen Stand als ehemaliger kaiserlich-königlicher Offizier verwiesen habe, wenn in politischem Gespräch eine linke Position ergriffen wurde. Canetti liebt Roth, aber er stellt Döblin über ihn. Und als den bedeutendsten damaligen Zeitgenossen stellt er Heinrich Mann hin. Der Untertan .
Canettis wunderbar herzliches Lachen, es reiÃt ihn buchstäblich aus dem Sitz hoch, den dicken kleinen Mann mit dem Löwenkopf, als ich ihm von Charles Racine erzähle, wie er immer schrie »Ãa je vais écrire à Elias, je vais l'appeler, il doit le savoir«. Und zwar als Drohung gegenüber uns â derselbe Racine, der mir zu Hause auf geradezu apokalyptische Weise seinen Judenhaà offenbart hatte und das ausgerechnet vor dem Zuhörer Canetti.
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Ich sehe mich als kleinen Jungen um »Carmens« Haus streichen. Es ist Frühling und Ferien. Der Tag der StraÃe noch unbefleckt, frisch. Die Einkaufsfrauen noch nicht unterwegs. Ein Vorrat an Tag in der Luft, der chlorophyllischen Morgenluft. Ich sehe mich an der Rückseite des Hauses um den Garten streichen. Der Garten hinter Hecken versteckt. Ein Schatten Abweisung liegt noch überm Rasen, in dem ihr Liegestuhl â¦
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Was ist eigentlich die Verbindung zwischen Antonita und »Carmen«? (Auf einen Zusammenhang hatte mich schon Canetti aufmerksam gemacht, als ich ihm, offenbar am selben Abend in London, hintereinander meine spanische »Liebesgeschichte« und die Geschichte meiner Kindheitsliebe erzählte.)
Die Geschichte mit »Carmen« war eine Kinderliebe. Die Geschichte einer Abhängigkeit. (Macht der Liebe.) Der kleine Junge, der ums Nachbarhaus streicht, wo er auf seine Gespielin wartet. Sie hat einen weiÃen Teint mit einer Spur Laubflecken im Gesicht, die den Teint noch weiÃer erscheinen lassen. Sie gilt als hochnäsig, hochmütig. Aber auch als ein heimliches Luder (wie er später hört). Für ihn ist sie der Inbegriff der Schönheit, Anbetungswürdigkeit, Unerreichbarkeit, Verzauberung. Sie ist ein höheres Wesen. In ihrer Nähe oder auch nur im Gedanken an sie stockt ihm der Atem, setzt das Herz aus. Sie hat Macht über ihn. Erhören und verstoÃen. Sie erscheint auf dem runden Balkon, um ihn wissen zu lassen, daà sie gleich kommen werde. Es ist früh am Vormittag, Ferien, sie werden zusammen sein, allein zusammen drauÃen sein. Den ganzen Tag. Er liebt sie. Er weià nicht, was das ist: lieben. Aber er ist ihr ganz hörig.
Alles ist insgeheim auf sie bezogen â
Er lebt aus ihren Gnaden.
Sie ist in allem, was er sieht. Weil er mit den Augen des Lie
benden um sich sieht. Sie ist der Animus in allen Dingen, die wiederum ein Versprechen enthalten, köstlich â sie. Sie ist die Ursache einer erregenden Begeisterung, einer Erregung. Und sonst? Sie ist die Verkörperung des Begehrenswerten.
Sie ist die Schönheit an sich. Und alles ist Abglanz von ihr.
Sie ist irgendwie allgegenwärtig, weil sie in seiner ganzen zwölfjährigen Existenz spukt â zentral und beherrschend spukt. Aber er weià nichts darüber. Sie ist sein erster Gedanke beim Aufwachen, obwohl »Gedanke« eigentlich schon zuviel ist, sagen wir also: Sie sei seine erste Empfindung, Lebensempfindung â oder, noch besser: Erwartung (Lebenserwartung?). Sein Versprechen. Und sie ist das unermüdlich Irritierende. Aufwachen und â sie vor Augen haben, vor Sinnen haben. Wie?
Er hat noch überhaupt nicht die Fähigkeit, qualitativ oder kritisch zu denken, er kann sie noch nicht beurteilen. Er sieht vor sich â in allem  â sie. Er spürt ihre Nähe (wie ein Tier spürt). Das genügt. Und schon von der Evokation ihrer Person gehen ganze Wellen von Seligkeiten und Ãngsten aus. Ihr bleiches Gesicht mit den dunklen Augen. Und ihre Stimme. Etwas dünn, diese Stimme, eine kleine Stimme, fast ein biÃchen rauh oder gepreÃt â aber schon die Tatsache, daà diese Stimme »seinen Namen in den Mund nimmt«, kommt ihm vor wie â ja, wie was? Wie die unerhörteste Intimität. Wie ein Glück, an das man nicht zu glauben wagt. Jetzt ist er in ihrem Munde, also in ihr. Wie Vereinigung und unglaubliche Erhöhung kommt es ihm vor. Also muà er sie wie das Unerreichbare schlechthin empfunden haben, über ihm stehend. Er hat sie
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