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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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erhöht und sich erniedrigt. Er war sich gar nicht bewußt, daß er auch etwas darstellte, darstellen mochte. Oder daß er selber attraktiv hätte sein können. Das bleiche Gesicht mit Andeutung Sommersprossen, die sehr dunkelbraunen Augen dazu (was das Gesicht noch blei
cher machte) und sinnlich (Maske?). Und aus ihrem Mund tritt sein eigener Name.
    Gut, das sind im Grunde Empfindungen eines körperlichen Reizes. Aber es ist auch die Annahme darin (die stillschweigende), daß dieses in sich abgegrenzte, dazu noch bekleidete, in Kleidern nochmals abgegrenzte weibliche Wesen, Verführerin, fähig, ihn und überhaupt alles zu beseelen – daß diese Fremde überhaupt nicht erreichbar sei. Oder für ihn nicht erreichbar.
    Woher wohl diese Erhöhung des Weiblichen?
    Sie ist schön, sie ist reich, sie ist vornehm (gehobener Schicht angehörig). Sie ist die Fremde par excellence. Märchenprinzessin. Und natürlich ist seine Empfindung ihr gegenüber auch sinnlich. Die Schönheit empfindet er ja mit Sinnen. Aber keine Berührung. Keine Umarmung – obwohl undeutlich solche Begierden sich in ihm regten.
    Die Freiwilligkeit ihrer Zuwendung – fragil erscheint ihm diese Freiwilligkeit. Er ist ihr ganz ausgeliefert. Zur Bezauberung und Dauererregung gehört die Angst, daß sie sich ihm jeden Moment entziehen könnte. Und dann würde der Geist, der Lebensgeist sich aus allem zurückziehen. Dann wäre er verloren. Sie ist also auch der Garant auf ein unbestimmtes, aber vehement empfundenes Glücksgefühl (im Leben). Und wenn dieser Garant sich zurückzöge? Er war in ihrer Hand. Diese Vergötterung ihrer Person und gleichzeitig seine Erniedrigung – warum? Seltsam.
    Aber er kann (realiter) gar nichts anfangen mit ihr. Er fängt auch nichts an. Sie sehen, sie erwarten, sie auf sich zukommen sehen, sie seinen Namen aussprechen hören. In ihrer leiblichen Nähe sein.
    Hätte er sie herunterzerren können – auf irgendeinen Boden oder sie gar unterwerfen können.
    Aber so –
    Er kann nichts mit ihr anfangen (außerhalb seiner »Inner
lichkeit«), er ist wie gelähmt. Linkisch vielleicht. Er setzt ihr keinen Selbstwert entgegen. Er hängt von ihrem Wetter ab. Es gibt keine Entwicklungsmöglichkeit dieser Liebe und Liebesgeschichte. Nur Bangen.
    Sie erscheint auf dem Balkon, hinter sich die Gouvernante, Kinderfrau, um zu verstehen zu geben, daß sie jetzt gleich käme. Es ist, wie wenn die Sonne aufginge. Sie hat sich gezeigt. Und dann wird sie unten erscheinen, leibhaftig. Sie wird mit ihrem merkwürdig weißen Gesicht und den schwarzen Augen, schwarzen Haaren unten bei ihm sein. Mit ihrem Körper, in ihrer ganz und gar fremden Art, mit der Aura ihres Höhergestelltseins, mit ihren Kleidern, ihrem Kindersex, allem, was ihr vom Inneren ihres Hauses anhaftet … wird sie sich nähern. Sie wird seinen Namen aus ihrem Mund schlüpfen lassen.
    Und dann?
    Sie werden nebeneinander hergehen und irgendwas reden, aber alles wird eine Bedeutung haben. Man muß höllisch aufpassen, daß sie nicht entgleitet und daß niemand eindringt in diese »Welt zu zweit«. Diese Stimmung der Unausgesprochenheit. Und eines Tages wird er aus Angst, sie zu verlieren, oder einfach, weil er nicht glauben kann an das, was ihnen geschieht, ihr die Liebe gestehen und die Frage stellen, ob sie mit ihm gehen wolle. Und sie – »Ich muß es mir überlegen«. Was laut Canetti typisch spanisch (spanischer Stolz) ist, was aber genügt, um ihn – mich – aus dieser wunderbaren Welt zu verstoßen. Für ihn ist's Verrat. Wortgläubig, wie er ist. Und jetzt kommt das grausame Leiden. Das Licht ist ausgegangen. Der Animus hat sich aus den Dingen verflüchtigt. Die Welt ist zusammengebrochen. Er kämpft nicht. Er wird in Stolz flüchten, um die Erniedrigung zu verbergen. Die Fassungslosigkeit angesichts des Todesurteils. Nie mehr ein Wort, nie mehr einen Gruß in all den Jahren.
    Für sie muß es unbegreiflich gewesen sein.
    Das wird bestimmend sein für alles Weitere. Nur nie mehr verletzt werden. Nur nie wieder sich dieser Gefahr aussetzen.
    Was er mitnimmt, ist der Verdacht einer Minderwertigkeit oder aber einer Verletzbarkeit (Achillesferse). Übrigens ist auch ihr Vater bereits auf dem Friedhof, wo er den Zutritt zu einem »anderen Land« hütet.
    Von da

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