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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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erstmals etwas wie unumschränkte Vereinigung erfahren hätte. Und er ist verblüfft. »Das haben Sie nie erlebt? Das wußte ich nicht, ich kann es mir gar nicht vorstellen. Ich weiß doch
noch ganz genau, wie ich Marianne und Sie erstmals zusammen in der Bar des Hotels »Butterfly« getroffen habe, ganz zu Anfang Eurer Verbindung, 1965, glaube ich, war's. Da war doch eine sehr deutliche Aura der Zärtlichkeit, auch des Eros, um Euch. Es fällt mir schwer zu glauben, was Sie da sagen, ich hätte es nie für möglich gehalten. Und, sehen Sie, ich mußte doch einfach für Marianne sein, weil ich doch Euer Verhältnis so zauberhaft und kostbar vor Augen hatte die ganze Zeit und nun diese Gebrochenheit antraf, das war wirklich gefährlich, glauben Sie mir. Bei Ihnen habe ich jetzt ein etwas erleichtertes Gefühl, seit ich Sie wieder so lebendig von Menschen sprechen höre, so wie früher immer, ganz Dichter. Auch als ich das Nachwort zum van-Gogh-Buch las, wagte ich aufzuatmen. Damit, ich meine mit dieser Insel-Ausgabe, haben Sie für längere Zeit eine gültige Vermittlung van Goghs zustande gebracht, das wird jetzt bleiben und genügen.«
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    Irgendetwas blieb unbeantwortet in meiner Mariannenzeit, Mariannenwelt, da war wohl zuviel Milde. Einesteils tendiert mein Wesen seit längerem auf Alleinwagnis. Andernteils ist alles, was Geborgenheit bedeutet, bei ihr. Und ich nehme es ihr fürchterlich übel, natürlich zu Unrecht, daß sie versucht hat, mich gegen andere Partner abzutauschen, in Zürich und später in New York. Ich hätte wohl ihr Opfer erwartet? Oder ein Mehr (an Liebe)? Oder Witwenleid? Ich nehme ihr, unlogisch genug, übel, daß sie bereit war, um ihrer Selbstrettung willen, mir das Restchen Geborgenheit zu entziehen. Und sie nimmt mir die Raschheit meiner Wegwerfgeste übel.
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    Gestern, Freitag, Beginn des Pfingstwochenendes, war es schrecklich in der Wohnung. Ich war verkatert nach dem Besuch bei der Witwe von Boris Vian unten beim Moulin Rouge in einem toll verkommenen Hinterhaus mit einer Boheme-Attitüde der unmittelbaren Nachkriegszeit, dann nach diesem stundenlangen Durchhalten im Karibenklub der ewig nörgelnden beleidigten Christiane, mit dem Kameruner Mohammed an meiner Seite etc. Geld rausgeschmissen. Und draußen spürte man schon die Entspannung, das Aufatmen der ganzen Stadt, es ging ja auf Pfingsten zu, es war der Vorabend der Pfingstferien. Das Aufwachen nach kurzem, durch Alkohol unruhig verbrachten Schlaf, das Katergefühl und Unvermögen, etwas zu tun, auch nur das geringste in die Hände zu nehmen oder etwa ans Aufräumen zu denken. Das Eingesperrtsein in diesen blöden engen vier Wänden, weiß nicht, wie die Stunden herumbringen, und weit und breit niemand, an den man sich wenden könnte. Und eben untergründig das Bewußtsein der Realistik meiner Ungeborgenheit, der definitiven Wirklichkeit und gleichzeitig Absurdität meiner Lage. Plötzlich sieht das nun anders aus, daß man »ausgewandert« ist, wie es so schön heißt. Und dann biß mich wie eine heimtückische Schlange der Gedanke, daß ich jetzt hier in Paris das erleben würde oder bereits zu erleben und zu leben im Begriff sei, was in bezug auf Stolz endogene Depression bedeutet. Und ich hatte wahrhaftig Angstzustände, Panik stieg in mir auf, ich hatte wahr und wirklich den Verdacht, daß etwas in meinem Kopf ausklinken könnte, ich war eingesperrt und ausgesperrt vom Leben, ich blieb fixiert auf diese eben noch niedergehaltene fixe Idee des drohenden Ausklinkens, aufgespießt auf diesen Angstgedanken. Und dazu das Bewußtsein, daß ich ja jetzt kein Hinterland, Heimatland in der Schweiz, keine Rückzugsmöglichkeit mehr besaß. Und keine Arbeit, kein Einkommen. Panik. Sehnte mich einmal
mehr nach einer gewöhnlichen Anstellung, einer Zuordnung, einem Joch, einem Trab, einer Mühle, einem Trott. Und die Straßen draußen nur noch Dreck und Häßlichkeit. Ähnlich hatte ich in jener depressiven Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des Stolz in Zürich empfunden und im Grunde immer schon, auch in Rom. Die frühe Heirat war aus Instinkt gewollte Belastung gewesen, dachte ich jetzt, Verankerung im Leben, ein Integrationsversuch. Und nun sah ich auch meine bisherigen Bücher als heroische Leistungen. Nämlich Leistungen insofern, als es

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