Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Was sich allmählich in mir frei arbeitete, nachdem das mit Hoffnung geladene, physische Zusammensein aufgehört hatte und ich wieder mit mir und der Geschichte und der Erinnerung allein und auf mich gestellt war, gehört nicht nur ins Gebiet des Liebesentzugs, sondern des Liebesbetrugs; Gefühl krassen Ungeliebtseins. Senkte sich aus tausend Ritzen auf mein Gemüt und wölkte mich ein.
Einmal sehe ich sie zwischendurch mit Röntgenaugen und mache mir vor, daà mir manches nicht nur nicht gefällt, sondern miÃfällt. Ich sage mir: Immer schon hatte ich das Gefühl, daà aus unserer Geschichte nichts werden würde, daà es für uns keine gemeinsame Zukunft gebe, wir stammten
aus zu sehr verschiedenen Lagern, Welten. Um so trauriger diese Liebe.
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Sonntagnachmittag in der »Kronenhalle«. Die paar überhängenden Esser und Schwelger, Frau Zumstegs, der Wirtin Alte-Dame-Gang am Krückstock quer durchs Lokal, das ich immer als eine Art schönes Bahnhofsbuffet empfunden habe, wiewohl es nachts mit der prominenten Internationalität der Gäste und den im Licht erblühenden echten Braques und Derains und Mirós und Picassos etc. die Dreisterne-Exklusivität erreichte; wir hatten früher gleichsam unter Künstlern (mit Hund Flen) hier auf das Selbstverständlichste verkehrt, hatten beinah hier gewohnt, Marianne, meine damals neue und vielgeliebte und engvertraute Gefährtin, der Hund und ich. Jetzt saÃen wir, Canetti und ich, unter dem Bildnis von Joyce an dessen Tisch.
Canetti wollte erst wissen, wie die Robert-Walser-Veranstaltung gewesen sei, der er sich mit allem MiÃtrauen ferngehalten hatte; ich habe ihn diesbezüglich mit meiner positiven Einstellung (Literaturshow in der GröÃenordnung einer Oststaaten-Personenkultveranstaltung oder auch Dichterzirkus mit einem Zulauf, den sonst nur Popbands erreichen) überrascht. Zur Bemerkung, daà Walser nie richtig populär werden könne, meint Canetti, er könne sich vorstellen, daà die heutige Jugend in Walser ihren Hesse finden müÃte, da er eine unerwartete Aktualität habe. Wer weiÃ?
Canetti ist eingeschrumpft, was sich vor allem im Gesicht zeigt und mich beim ersten Wiedersehensblick erschreckte, ich dachte an die Sterbensmöglichkeit Canettis und merkte, daà ich erstarrte. Hatte ich ihn ernsthaft für unsterblich gehalten? Er hat zehn Kilo verloren, raucht nicht mehr, trinkt nicht (wegen Zucker) und lebt auch sonst auf Diät. Dann muÃte ich ihm von der Lesereise durch Ãsterreich erzählen.
Und schlieÃlich kamen wir auf Marianne. Canetti nimmt mir mein Verhalten ihr gegenüber übel. »Sehen Sie, Nizon, Sie müssen das verstehen, ich habe Ihre Beziehung zu Marianne immer sehr geschätzt, da war so viel Wärme und Innigkeit besonders von Mariannes Seite, man spürte doch sehr deutlich, daà sie ihr ganzes Leben auf Sie ausgerichtet hatte, sie hat um Ihretwillen doch so viel gelesen, sie hat alles getan, um Sie zu verstehen, sie hat Ihre Welt, Ihr Dichtertum über alles gestellt, das war doch wunderschön, und dann sah sie doch total zerstört aus, als Sie letzten Frühling mit ihr zu uns kamen, sie war gebrochen, ja, ich hatte den Eindruck, daà sie gebrochen war, und ich will Ihnen jetzt sagen, daà ich danach auch selber richtig zerstört war, Hera könnte es Ihnen bestätigen. Darum habe ich ja auch versucht, Ihnen diese Leidenschaft auszureden, weil ich so betroffen war von dem Aussehen der Marianne, von ihrem Schmerz. Und Sie selber machten den Eindruck, als wollten Sie mit der Selbstzerstörung beginnen, das hatte etwas von einer solchen, wie Sie auf einmal alle Brücken abbrachen und auszogen, wie Sie sich selber allen Boden entzogen. Ich konnte Ihnen die Begeisterung für Paris nicht ganz glauben, Paris ist, wie Sie jetzt selber sagen, die kälteste Stadt der Erde, das ist doch fürchterlich, diese menschliche Kälte, das habe ich immer so verspürt, und ich kenne die Stadt, wie Sie ja wissen, sehr gut durch meinen Bruder â¦Â«
Ich habe ihm gesagt, daà wir jetzt vielleicht die Trennung in die Wege leiten würden, um uns freizugeben oder so ähnlich. Ich erzähle ihm von Mariannes Aufenthalt in New York, diesem Glücksrausch, den sie da hatte, und von ihrer neuen Liebe. Ich sage ihm auch, daà mein Odile-Erlebnis deshalb so erschütternd gewesen sei, weil ich mit ihr
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