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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Was sich allmählich in mir frei arbeitete, nachdem das mit Hoffnung geladene, physische Zusammensein aufgehört hatte und ich wieder mit mir und der Geschichte und der Erinnerung allein und auf mich gestellt war, gehört nicht nur ins Gebiet des Liebesentzugs, sondern des Liebesbetrugs; Gefühl krassen Ungeliebtseins. Senkte sich aus tausend Ritzen auf mein Gemüt und wölkte mich ein.
    Einmal sehe ich sie zwischendurch mit Röntgenaugen und mache mir vor, daß mir manches nicht nur nicht gefällt, sondern mißfällt. Ich sage mir: Immer schon hatte ich das Gefühl, daß aus unserer Geschichte nichts werden würde, daß es für uns keine gemeinsame Zukunft gebe, wir stammten
aus zu sehr verschiedenen Lagern, Welten. Um so trauriger diese Liebe.
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    Sonntagnachmittag in der »Kronenhalle«. Die paar überhängenden Esser und Schwelger, Frau Zumstegs, der Wirtin Alte-Dame-Gang am Krückstock quer durchs Lokal, das ich immer als eine Art schönes Bahnhofsbuffet empfunden habe, wiewohl es nachts mit der prominenten Internationalität der Gäste und den im Licht erblühenden echten Braques und Derains und Mirós und Picassos etc. die Dreisterne-Exklusivität erreichte; wir hatten früher gleichsam unter Künstlern (mit Hund Flen) hier auf das Selbstverständlichste verkehrt, hatten beinah hier gewohnt, Marianne, meine damals neue und vielgeliebte und engvertraute Gefährtin, der Hund und ich. Jetzt saßen wir, Canetti und ich, unter dem Bildnis von Joyce an dessen Tisch.
    Canetti wollte erst wissen, wie die Robert-Walser-Veranstaltung gewesen sei, der er sich mit allem Mißtrauen ferngehalten hatte; ich habe ihn diesbezüglich mit meiner positiven Einstellung (Literaturshow in der Größenordnung einer Oststaaten-Personenkultveranstaltung oder auch Dichterzirkus mit einem Zulauf, den sonst nur Popbands erreichen) überrascht. Zur Bemerkung, daß Walser nie richtig populär werden könne, meint Canetti, er könne sich vorstellen, daß die heutige Jugend in Walser ihren Hesse finden müßte, da er eine unerwartete Aktualität habe. Wer weiß?
    Canetti ist eingeschrumpft, was sich vor allem im Gesicht zeigt und mich beim ersten Wiedersehensblick erschreckte, ich dachte an die Sterbensmöglichkeit Canettis und merkte, daß ich erstarrte. Hatte ich ihn ernsthaft für unsterblich gehalten? Er hat zehn Kilo verloren, raucht nicht mehr, trinkt nicht (wegen Zucker) und lebt auch sonst auf Diät. Dann mußte ich ihm von der Lesereise durch Österreich erzählen.
Und schließlich kamen wir auf Marianne. Canetti nimmt mir mein Verhalten ihr gegenüber übel. »Sehen Sie, Nizon, Sie müssen das verstehen, ich habe Ihre Beziehung zu Marianne immer sehr geschätzt, da war so viel Wärme und Innigkeit besonders von Mariannes Seite, man spürte doch sehr deutlich, daß sie ihr ganzes Leben auf Sie ausgerichtet hatte, sie hat um Ihretwillen doch so viel gelesen, sie hat alles getan, um Sie zu verstehen, sie hat Ihre Welt, Ihr Dichtertum über alles gestellt, das war doch wunderschön, und dann sah sie doch total zerstört aus, als Sie letzten Frühling mit ihr zu uns kamen, sie war gebrochen, ja, ich hatte den Eindruck, daß sie gebrochen war, und ich will Ihnen jetzt sagen, daß ich danach auch selber richtig zerstört war, Hera könnte es Ihnen bestätigen. Darum habe ich ja auch versucht, Ihnen diese Leidenschaft auszureden, weil ich so betroffen war von dem Aussehen der Marianne, von ihrem Schmerz. Und Sie selber machten den Eindruck, als wollten Sie mit der Selbstzerstörung beginnen, das hatte etwas von einer solchen, wie Sie auf einmal alle Brücken abbrachen und auszogen, wie Sie sich selber allen Boden entzogen. Ich konnte Ihnen die Begeisterung für Paris nicht ganz glauben, Paris ist, wie Sie jetzt selber sagen, die kälteste Stadt der Erde, das ist doch fürchterlich, diese menschliche Kälte, das habe ich immer so verspürt, und ich kenne die Stadt, wie Sie ja wissen, sehr gut durch meinen Bruder …«
    Ich habe ihm gesagt, daß wir jetzt vielleicht die Trennung in die Wege leiten würden, um uns freizugeben oder so ähnlich. Ich erzähle ihm von Mariannes Aufenthalt in New York, diesem Glücksrausch, den sie da hatte, und von ihrer neuen Liebe. Ich sage ihm auch, daß mein Odile-Erlebnis deshalb so erschütternd gewesen sei, weil ich mit ihr

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