Die Belagerung der Welt - Romanjahre
es lag ein Klang von Sichmögen, wenn nicht der Liebe in der Luft und dem Abend. Ãbrigens hat mir Handke gesagt, er könne gut verstehen, daà ich es mit den Mädchen gut könne, die müÃten nämlich spüren, daà ich sie wirklich begehre, und daher seien sie mir so gut und willig und in einer gewissen Weise wirklich Liebende.
Jetzt lebe ich schon die ganze Zeit dermaÃen exzessiv und komme mir dabei gar nicht auf der Flucht oder auf Abwegen vor, sondern wie wenn ich arbeitete: weil ich dieses Grundgefühl wieder habe, dieses Unterwegssein zu einem Auf-den-Grund-Kommen, dieses körperlich-schälende Sichaussetzen, dieses Dem-Geheimnis-Näherkommen, dieses lebensbrüderliche Gefühl. Ein Zustand, der äuÃerlich wie ein Auf-den-Hund-Kommen wirken mag, aber in der Tiefe â nolens volens â ein Auf-der-Lauer-Liegen ist, ein Forschen gar. Vielleicht sind die Absteiger, die Clochards, solche Forscher.
Â
Â
Vergangene Woche, das heiÃt letzten Sonntag abend, mit Valentin in seinem VW -Lieferbus hier mit einem Teil meines Umzugsgutes eingetroffen: mit dem Glasbücherschrank, der Liseuse, dem alten Schneider-Schreibtisch und noch dem Kokosteppich aus der StockerstraÃe. Das ist jetzt installiert und stimmt mich ein biÃchen melancholisch, weil mein altes
Hab und Gut, in der kleinen Tantenwohnung versammelt, mir erst so richtig meinen Exodus zu BewuÃtsein bringt. Das Meinige, in diese Pariser Bleibe integriert.
Die Simart-Wohnung beginnt hübsch auszusehen, erinnert mich ein wenig an Canettis Kleinwohnung an der Thurlow Road in Hampstead. Emigrantendasein. Ohne soziale Stellung und patriotische Zugehörigkeit, wohnhaft irgendwo, ohne nennenswerten Besitz, nur mit der Lebensneugier, Weltliebe und einer Schreibpassion ausgerüstet. Und nun kann es losgehen oder weitergehen. Die kleine Melancholie rührt von der Entwurzelungsaktion her. Und Marianne stiefelt durch New York, auch sie wohl allein. Entkommen.
Mit Valentin gute Gespräche gehabt. Wie er mit Liebe mein Leben, mein Wollen oder Müssen, meine Thematik und Existenz zu begreifen beginnt. Er hat mir viel geholfen, hat mir den neuen Fernseher, den Teppich, die Bilder installieren helfen, alles Technische inklusive meinen neuen Radio-plus-Kassettenapparat eingerichtet, durchgetestet, aufs beste in Funktion gesetzt. Nebenher Vorbereitungsarbeiten für sein zweites (Forstingenieur-)Vordiplom stundenweise hier und in seinem Hotelzimmer, Résidence Bécquerel; und viele Verhöre, um den Vater besser zu verstehen. Wir sprachen über die Odile-Geschichte, über Marianne, über meine Frauenaffären, die er als Vorstufen für meine jetzige Thematik zu verstehen begann. Er sagt, ich hätte mir wirklich das tollste »Forschungsprojekt«, nämlich die Liebe, ausgewählt. Er meint einzusehen, daà mein Herumlieben, mein Frauenleben, vielleicht einer Erkenntnis und damit meiner Dichtung diene; er verstieg sich gar zur Bemerkung, daà ich weniger ins Fleisch als in die Erkenntnis, ins Wissen investiere. Ich habe ihm aus entsprechenden Skizzen vorlesen müssen, auch aus alten Büchern. Ich war gerührt, wie er Anteil nahm, immer mehr vom Vater und seiner Zeit, seiner Welt, wissen und verstehen wollte. Ob auf den Gängen durchs Quartier,
abends auf dem Markt rue des Abbesses, rue Lepic etwa oder nachts in einer Bar bei Pigalle (wo ich Rachid zu treffen hoffte, den Chasseur, Zuhälter), ob in den verschiedenen Bistros â überall schien er zunehmend verzaubert von diesem Leben, dieser groÃen Geliebten seines Vaters namens Paris. In zwei, drei Fällen bekam er wie von selbst Anschauungsunterricht über mein Verhältnis zu Frauen: einmal in einer Bar, wo wir mit einer Sophie oder Stephanie ins Gespräch kamen (»Il est beau, ton Papa«), und dann in der »Cave des Ãles«, einem karibischen Klub (öffnet um vier Uhr früh, schlieÃt um neun Uhr vormittags), wo ich mich mit dem Bar-Engel Christiane verabredete (mit der ich dann anderntags auch ausging). Einblicke. Manchmal dachte ich in diesen Tagen, daà ich Erziehung nachhole mit meinem Sohn. Er blieb eine volle Woche mit mir zusammen.
Â
Â
Zuerst will ich von der abgrundtiefen Traurigkeit sprechen, die mich in der letzten Zeit jedesmal hinterrücks überfallen hat, sobald ich mich von Odile getrennt hatte. So vergangenen November nach meinem Besuch in London.
Weitere Kostenlose Bücher