Die Belagerung der Welt - Romanjahre
geworden.
Manchmal merke ich das mit Angst, ja Entsetzen (was ich aufgegeben und hinter mir gelassen habe); manchmal mit wahren Fluten von Glücksstolz. Etwas ist mit mir passiert. Ich kann nur noch siegen oder untergehen.
Manchmal das erhebende oder besser: berauschende Gefühl, (eigentlich ganz unverdient, wie in einem Traumerwa
chen) in jenen Strom gelangt, gemündet zu sein, wo all die Weltliteratur, die Kunst der Welt entstanden ist.
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Dürrenmatt schreibt mir:
»Ich denke oft an Dich. Ich sehe Dich finster und verschlossen in Paris herumlaufen. Du gehst künstlerisch, um das verfängliche Wort zu wählen, auf einem ebenso schweren wie gefährlichen Pfad â nichts gegen ihn, nichts gegen Deine Wahl â wenn wir das Nicht-anders-Können überhaupt eine Wahl nennen dürfen; aber einen Pfad vorwärts zu gehen, den man betreten muÃte, ist schlieÃlich eine Wahl. Beim Lesen Deines Protokolls wird es mir deutlich. Zuerst die scheinbare Nähe zu Walser und das aufregende ganz andere ⦠Was nun das âºganz andereâ¹ betrifft, Deine Angelegenheit: Aus lauter Verlegenheit am Grabe Varlins reden zu müssen, sagte ich dann, wenn es heiÃe, daà am Anfang das Wort gewesen, so müsse am Ende das Bild sein. Indem ich in Deinem Untertauchen lese, wird es mir deutlich: Was bleibt, was Bild geworden ist, was damit, daà es Bild geworden ist, wieder zum Wort werden kann, ist Erinnerung, und ich meine damit das Gegenteil von Erdichtung: Sind doch gerade die meisten Erinnerungen Erdichtungen, oft groÃartige: Proust. Reine Erinnerungen aber sind Dichtungen, das heiÃt nicht Sprachlust, Beschwörung, Wortmagie, sondern Fallenlassen der Gründe, die ja in der Erinnerung gleichgültig werden, so gleichgültig wie die Zwecke. Doch für die Erinnerung zahlen wir mit Leben und um zu leben, verbrauchen wir uns, unsere Zeit. Der Tribut, den Du entrichten muÃt, ist verdammt teuer, mag das Resultat noch so kostbar sein.« An den Rand geschrieben: »Dichtungen sind äuÃerste Konzentrationen.«
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»Künstlerdarsteller« hatte mich Peter Hamm letztes Jahr in London tituliert, als ich mein Bangen und Ãberquellen in Erwartung des Wiedersehens mit Odile wohl übertrieben zur Schau stellte, und ich nahm diesen Titel als Böswilligkeit entgegen. Aber es steckt dennoch etwas darin. Denn jetzt in Paris merke ich, wie ich im Grunde nur das Leben im Sinne des Romanerlebens forciere. Es ist wie damals in Rom: eine Sucht. Ich vergesse darob alle Aufgaben, ich schmeiÃe alles Geld raus in diese Affären, wo ich doch nur von Barmherzigkeiten lebe. Ich bin jetzt zwei Tage im Bett gelegen und habe Chandler gelesen, bin nur schnell rübergegangen zu Said, dem Wirt an der rue Marcadet. Und dann wieder zurück in diesen Stall von einer Wohnung, wo sich Unordnung und Unrat nicht nur stapeln, sondern geradewegs begatten.
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Zurück zu den Hurenbesuchen. Es ist dieses geradezu Schallmauerdurchbrechende, dieses Ãberspringen der Fremdheitsgrenze bis zum intimsten Nahesein, denn näher als im Sexus, in dieser »Vereinigung«, kann man realiter einem Menschen überhaupt nicht sein. Ich glaube manchmal, daà sich etwas vom anderen dem eigenen Hormonhaushalt mitteilt oder integriert, und ich würde mich nicht wundern, wenn ich zuweilen mit den Augen oder dem Wesen einer längst vergessenen Liebespartnerin in die Welt schaute, mit etwas aus ihrem Wesen. Derlei geheimnisvolle Dinge sind es, die mich bei der körperlichen Liebe berühren und begeistern, ja, begeistern. Und die kleine Verbündung, die da stattfindet und irgendwie auch bleibt, man sieht es daran, daà man mit einer Frau, mit der man einmal geschlafen hat, noch nach Jahren eine merkwürdige Vertrautheit, ein verschwiegenes Wohlwollen spürt, auf das man auch zählen kann. O dieses Im-Körper-Sein, dieses In-eine-Körperexistenz-ver
packt- und -vermauert-Sein, und mit dem eigenen Fleisch an demjenigen einer Fremden kommunizieren, konversieren, partizipieren, zwei Fremde, die sich »vereinigen«, ohne daà sie je darauf kommen können, was sich denn auch wirklich vereinigt und mehr: erzeugt hat aus ihrer Verschlingung. Derlei Dinge hab ich zu Handke gesagt, als wir bei ihm drauÃen in Clamart mit seiner Tochter den Abend verbrachten, schön war das Nachtmahl zu dritt. Es war eine entspannte Stimmung zwischen uns,
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