Die Belagerung der Welt - Romanjahre
verzweifelte Versuche sein muÃten, der in mir latenten Depression, auch der eigenen Unfähigkeit zu entkommen und zum Leben hin zu erwachen.
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Gestern bei Georges-Arthur Goldschmidt, dem Handke-Ãbersetzer, Romancier, Mittelschullehrer, mit dem Gesicht eines leicht konsternierten Schubert (mit Lustmündchen), in Belleville drauÃen gewesen, der sich für meine Literatur interessiert; Frau auch Professorin, unterrichtet alte Sprachen; zwei Söhne, der eine 20, Geograph, der andere 19, angehender Cineast. Belleville mit starken Flecken und Akzenten des Proletenviertels, bunt grell lebhaft, schönes bürgerliches Essen, und dennoch ein wenig melancholisch zurückgekehrt, vielleicht doch etwas zuviel getrunken, sogleich noch auf der Liseuse eingeschlafen, dann ins Bett übergesiedelt und schlecht weitergeschlafen, gegen sechs Uhr früh aufgewacht, paar Stunden gelesen, Patricia Highsmith, dann nochmals bis halb elf geschlafen. Den ganzen Tag über faul und kaputt gefühlt.
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Als mir im Juni vergangenen Jahres der SchlöÃli-Psycho-Chef Edgar Heim (er ist inzwischen Universitätsprofessor,
ich glaube in Bern, geworden) eine mindestens zwei Jahre andauernde Krise voraussagte, hoffte ich auf ein Schablonendenken seinerseits, also auf einen gnädigen Irrtum, und dann bin ich ja wirklich in Finsternisse, ja fast ins Allerheiligste der Finsternis geraten und habe Höllenfahrten absolviert; diejenige in Abano erscheint mir jetzt im Rückblick fast lächerlich in ihrer symbolischen Ausstattung, ihrer theatralischen Zeigefingereindeutigkeit. Aber nach den darauffolgenden zwei, drei Wochen mit Marianne an der SchöneggstraÃe (wo die Scheidung ausgebrütet wurde), nach dieser letzten Höllenfahrt, als ich in einer wahren Todesangst hierher zurückfuhr, mir graute vor der rue Simart, danach also waren Melancholie und Depression wenigstens im klinischen Sinne wunderbar weg, sie waren einfach verschwunden. Nun, ich war zwar beileibe nicht heiter, ich war herunten, aber nicht mehr krank, ich war durchs Feuer gegangen, und ich arbeitete wieder kontinuierlich.
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In Paris haben wir, das heiÃt eigentlich mehr Odile als ich, die Wohnung umgestellt und auf eine vie à deux eingerichtet, das sieht nun ganz anders aus, aber ich möchte das Ding verkaufen und etwas anderes nehmen, die rue Simart hat mich doch sehr gedrückt, alles in allem. Ãbrigens ist mein Lebenshund Flenny gestorben, ich komme darauf, weil ich mit der Erwähnung von 20, rue Simart an früheres Leben dachte, das schon so weit zurückzuliegen scheint. So viel ist buchstäblich davongeschwommen in letzter Zeit, so schnell ging das alles, und nun suche ich einigermaÃen entschlossen, auf mein Schreiben zurückzuspuren.
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Serrazzano
Die Silhouetten dieser Städtchen oder Orte hier (in Toskanien) wie Pomarance, Sasso Pisano, Lustignano, Monteverdi ⦠sind von einer ausgesuchten Schönheit. Sie sitzen, lagern, ruhen, schweben auf Hügelkuppen dieser durch und durch hügeligen, ja muskulösen Landschaft, die man in vielen Kurven durchfährt, so daà man ganz schwindelig wird vom andauernden Standortwechsel und Aussichtswechsel; und dann wird man dieser kompakten Stadtsilhouetten gewärtig, die sich in einem aschigen Braun darbieten, von fern einprägsam, leicht und traumhaft oder besser: traumdunkel, wirklich wie von fern herwinkend, und die Silhouetten haben eine apart gespreizte oder unerwartet verzeichnete, reizvolle Linearität, wie wenn sie von einem Lorrain gezeichnet wären, das heiÃt wie wenn sie wirklich aus einem alten Bild herüberwinkten. Da war kein Architekt am Werk, aber ein apartes Disegno des Lebensgefühls, der LebensäuÃerung. Die lagern quergewachsen und auch wehrhaft, ein grauer Körper auf den Kuppen, und haben durchweg eine ganz und gar aufregende Akzentuierung der Silhouette. Dachte eigentlich mehr an einen Greco als einen Lorrain. Apart, kostbar, exquisit, fein und verzogen, rauchgrau und entrückt, feingliedrig und unverhofft ⦠sind Worte für die Wirkung. Volterra gehört auch in die Reihe, aber ich spreche eigentlich von Städtchen einer noch kleineren Ordnung, von Landstädtchen mit Landadel im Gepräge. Klösterlich abwendig. Escorial.
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Gestern schnell nach Lustignano gekurvt, um Wein zu holen, Odile am Steuer, und da sehen wir von weitem eine Schafherde
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