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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Titanisches. Man neigt zur Überschätzung der künstlerischen Unternehmung und zur Selbstüberschätzung. Zu einer Heroisierung des Ganzen. Natürlich hört man es nicht gerne, wenn ein Beat Müller, der ja weitgehend abgesichert lebt, behauptet, das Schreibgeschäft sei prinzipiell nicht besser und nicht schlechter, vor allem aber nicht höher einzustufen als das Geschäft des Schreiners; es sei halt ein Handwerk wie ein anderes auch, nicht mehr und nicht weniger; und wie bei anderen Handwerken könne man allenfalls noch Güte und Tüchtigkeit, auch Niveau unterscheiden, aber nicht prinzipiell eine andere Rangebene, Hierarchie in Betracht ziehen. Ein Beat Müller mag graduelle Unterschiede konzedieren, aber letztlich ist für ihn das eine wie das andere Handwerksprodukt. Er möchte mit dieser Profanierung des Dichterischen von vornherein den Ruch des Elitären ausschließen. Den Geniekult. Nun gut. Ich kann beide Standpunkte einnehmen. Ich kann mir natürlich auch sagen, daß ich selbst einen Lermontow, einen Oblomow so konsumiere, wie ich irgendein Nahrungsmit
tel verzehre. Beat würde provozierend bemerken, man delektiere sich an einem Buch nicht viel anders als an einem schönen Möbelstück, an einem Teppich oder Wandbehang. Alles wäre unter »Ausstattung« und Komfort oder eben Kulturgut zu rubrizieren.
    Die Bücher werden verschlungen, wie es heißt, früher hatten sie erbaulich zu sein, belehrend, zerstreuend, aufklärerisch meinetwegen. Aber das Betörende, Atemberaubende, das Tiefe, Unerklärliche, das Leben darin, das unerschöpfliche Leben, wenn es ein echtes Buch ist, dieses Element, wie erklärt sich das?
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    Will jetzt noch schnell den Seelenzustand der (materiellen) Lebensangst aufschreiben. Jedenfalls habe ich immer festgestellt, daß meine Lebensgeister sich ungemein belebten, wenn Geld in der Kasse oder in Sicht war. Zwar habe ich den Hunger nie gekannt, mußte mich nie wie Orwell in Paris in meinem Hotelzimmerchen verstecken und, um zu überleben, mich in eine Art Winterschlaf hineinhypnotisieren, in einen Schlaf, der dann aus lauter Schwäche in ein Delirieren mündete, Vorwegnahme der Entleibung. So weit ist es nie gekommen. Orwell hat sich aus dem Hotel geschlichen, vorsichtig an der Concierge oder der Patronne vorbei, damit sie nicht sähen, wie er sein letztes Hab und Gut, den Koffer mit dem Wintermantel darin, zum Pfandleiher trug. Oder er ging aus: um auf einer Bank sitzend den Tag herumzubringen und dem Magenknurren zu lauschen. Nein, so etwas kenne ich nicht.
    Es ist etwas grundsätzlich Verschiedenes, wenn man bereits so heruntergekommen ist, daß Kleidung und Stand und Wohnung und was der bürgerlichen Dinge mehr sind, keine Rolle mehr spielen, weil man diese Schwellen der Selbstachtung bereits hinter sich gelassen hat. Man ist dann bereits
ein Ausgestoßener. Ein Vagabund. Es geht dann wirklich nur noch um die nackte Existenz.
    Geld haben bedeutet bei mir ja bloß Schnauf haben. Schnauf zum Arbeiten, zum Herstellen eines neuen Buches und damit (auch) eines Verkaufsprodukts. Es ist immer ein Schnauf auf Zeit, auf Wochen, auf einige Monate. Dann muß man weiterschauen. Zur Zeit habe ich ein wenig Schnauf aufgrund der kaum mehr erwarteten Restsumme der Tantenerbschaft, diesen Frühling war es das Honorar für das Falk-Buch. Immer eine kurze Strecke Schnauf. Wenn aber der Schnauf ausgeht, wenn diese Basis entfällt oder eben im Begriff steht, sich aufzubrauchen, und nichts in Aussicht – ja dann schleicht sich eine echte Ungemütlichkeit ein. Die unbezahlten Rechnungen schweben wie Wasserleichen an die Oberfläche meiner Gedanken mitsamt der Drohung, die sie beinhalten: Drohung von seiten der Ämter, Betreibungsämter, Drohung von Schikanen. Da ist kein Arbeitsklima mehr. Alle je ausgestandenen Verzweiflungen und Zermürbungen steigen in mir hoch, und ich sehe mich schon im Armenhaus. Auch die Schuldgefühle für meine Lebensführung, für alle Anmaßung sind da: Es ist die vorwurfsvolle oder hämische Einstellung der Außenstehenden, die sich in Selbstvorwürfen laut macht. »Hochmut kommt vor dem Fall.« Und wenn ich erst krank würde! An Arbeit oder Träumen und Spazieren ist natürlich nicht mehr zu denken. Neid auf die Geschützten und Angestellten, die Versorgten.
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    Allein in Paris, ich bin es nun schon seit zehn

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