Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Grunde nie ins Alter steigen, nicht einmal erwachsen werden wollte, daà ich »Entwicklung« ablehnte. Ob es nicht mit einer Vergötterung von »Jugend« zu tun hat, Jugend im Sinne der Impressionierbarkeit, der fürchterlich ungeschützten Augen und Seele, des ersten Blicks (auf die Welt). Dieser erste Blick, diese Kraft der Empfindung, diese Erlebniskraft, urschöpferische Lage geht ja dann später verloren (wenn man sich »entwickelt«, wie es heiÃt und gefordert wird), statt dessen: Abstumpfung, Anpassung, Vernunft.
Entwicklung ist Erblinden.
Das Heroische steckt durchaus in den genannten Helden, ich meine, eine entsprechende Hingabefähigkeit, Aufopferungsbereitschaft, aber der ebenbürtige Anlaà fehlt, leider. Da ist »keine Zeit für Heldentum«. Robert Walser gehört auch zu diesen »Jungverstorbenen«. Er, der das Reifsein als »Zustand vor der Fäulnis« verachtete, hat immer nur seine Jugendfigur gedichtet, bis es nicht mehr ging. Und Conrad gehört auch in diesen Zusammenhang. Wie hat er Jugend verherrlicht, dieses In-der-Tür-Stehen â vor dem Leben. Dieses Antreten, das Wunderbare: des Antritts.
Mit dieser meiner Affinität zu einem Petschorin (so heiÃt Lermontows Held) und Nagel (Hamsun) und Lenz und Werther und Niels Lyhne und Stolzâ(!) hat natürlich auch meine Schriftstellerproblematik zu tun. Wie soll einer immer weitererzählen, wenn er Entwicklung und Geschichte und Ãlterwerden oder auch nur Ins-Leben-Treten im Grunde seiner Seele ablehnt und haÃt? Manchmal denke ich, ich sei meinem Typus nach einer von denen, die jung hätten abgehen müssen und nun zum Weiterleben, Weiterdichten, Reifwerden verdammt sind.
Manchmal ist mir, wie wenn verschiedene Personen um mei
ne Seele kämpften, je nach dem Bild, das sie sich von mir gemacht haben. Du sollst dir kein Bildnis machen.
Â
Â
Bin ich eine GeiÃel der Frauen? Der selbstsüchtigste Mensch. Neulich habe ich mich in dieser Rolle gesehen und um mich herum die Opfer: als erstes Brigitte, wie sie mit aller ihr damals, als sie so jung und ungefiedert war, zur Verfügung stehenden Tapferkeit einstieg in das Eheunternehmen, die Mutterschaft, den Haushalt, die Familie, das Berner Leben; wie sie mir nach Kräften half und wie ich, einmal Schriftsteller geworden, die Familie verlieÃ, in die Literatur und meiner Wege ging. Und jetzt ist sie bald auch 50 und hat diese Wohnung im Röslibrunnenweg und die Kinder sind, bis auf den kleinen Boris, ausgeflogen; sie nimmt ihr Studium wieder auf und versucht, tapfer und unabhängig und kokett und vieles mehr zu sein, und hat gewià manchmal diesen unverwundenen Kummer: der zerbrochenen Ehe und meinetwegen. Dann Marianne mit ihrer groÃen Geduld; sie hatte die Kinderlosigkeit akzeptiert und was ich ihr sonst noch als Bedingungen auferlegte. Sie hielt 13 Jahre zu mir und hörte sich mein Klagen und Brummen und Schimpfen an, wenn ich nicht wuÃte, wie es mit dem Bücherschreiben weitergehen sollte und dem Geldmangel. Und beugt sich über ihre Zeichnungen und sorgt für einen gepflegten Tisch und einen gepflegten Rahmen, um den Gemahl zu empfangen, abends wenn er von seinem Atelier oder seinen Abstechern heimkommt, und versorgt den Hund â und dann diese Grausamkeit.
Vielleicht hatte Brigittes Vater doch recht, als er es ablehnte, mit einem solchen Halunken zu sprechen und zusammenzukommen. »Er hat meine Tochter unglücklich gemacht und ist dabei, seine zweite Frau unglücklich zu machen. Es ist an der Zeit, daà ihm einer zeigt, daà er ihn verachtet
und nichts mit ihm zu tun haben will«, hat er damals gesagt, als wir uns hätten über den Weg laufen können. Und blieb bei dieser Haltung.
Habe ich bloà immer an die Stillung des Lebenshungers gedacht, die letztliche Freistellung zum Schreiben, den eigenen Lebensroman? Oder dachte ich oder dachte etwas in mir, daà ich als Künstler und Dichter nicht vereinnahmt werden dürfe, um disponibel zu bleiben? War es die im Grunde unteilbare poetische Existenz, die mich abhielt? Dann hätte ich keine Ehen eingehen dürfen und keine Kinder haben sollen ⦠Ein Künstler darf nicht heiraten, heiÃt es im Volksmund.
Von einem romanhaften Poetenleben, von diesem vogelfreien »vivere pericolosamente« aus gesehen, auch von dem entsprechenden Einsatz her, erscheint das Schreibgeschäft leicht als etwas
Weitere Kostenlose Bücher