Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Tagen, und ich staune über meine Kühnheit, denn ich habe Odile nach London zurückzukehren veranlaÃt, habe mich also dieses Lebenshalts beraubt. Ich brauche Deine Liebe, unausgesetzt, ich bin nicht bereit, Dich mit irgend etwas zu teilen, Du muÃt immer um mich sein und mich mit Deiner Liebe
bestrahlen, sonst erfriere ich etc. â so ähnlich habe ich gesprochen und gefühlt. Und so blieben wir denn das ganze Jahr aneinandergeklebt, collés. Ich habe nicht mehr dieselben Ãngste wie bei den ersten beiden kurzen Trennungen, als Odile nach London ging, um die Sache mit dem College in Gang zu bringen und um eine Wohnung zu finden. Damals griff die Verzweiflung oder der Unglaube nach mir, ich konnte nicht mehr glauben, daà wahr war, was wir das ganze Jahr über gelebt hatten. Ich fühlte, wie das Bild unserer Liebe, wie diese Wirklichkeit verblaÃte und zurücktrat und wie sich das alte Schreckbild von Odile aus den zwei Jahren des Alleinseins, als wir nur immer diese beirrenden Telefonate und Anfechtungen hatten, davorschob. Jetzt glaube ich an unsere Bindung, doch zwischendurch schüttelt mich die Angst beim Gedanken, daà ich es riskiert habe, alles aufs Spiel zu setzen. Denn wir werden nun lange getrennt bleiben, wenn wir uns auch ab und zu an einem Wochenende sehen werden, aber wir werden zwei verschiedene Leben leben, ich das alleinstehende Pariser Simart-Leben mit meinem Ringen um das neue Buch, Odile das Londoner College- und Zimmer-Leben. Wir werden â das hatte sie befürchtet â unseren Alltag nicht mehr miteinander teilen. Wir könnten uns auseinanderleben, die Gefahr besteht. Und das wird ja nun nicht bloà ein, zwei Monate dauern, sondern erst einmal bis zu den Sommerferien und dann noch ein volles Jahr.
Ich habe für das Buch optiert. Nach der Rückkehr aus London, als Odile alles fahren lieÃ, was mit ihren Studienplänen zu tun hatte ⦠zurück in Paris, merkte ich, daà ich das Buch, wofür ich einen Vertrag mit Abgabetermin Ende Dezember unterschrieben hatte, wirklich nur allein machen kann. So wie ich es früher immer hielt, in dieser Belagerung und Bebrütung, dem ausschlieÃlichen Daran-Denken rund um die Uhr, im Arbeitstunnel. Ich handelte unter Pression
(s. Vertrag) und aus Angst; ich hätte mich zu zweit nie zurückziehen können, sie im Nebenzimmer, wartend ⦠das wäre nicht gegangen. Und so habe ich sie also zurückgeschickt, wie sie sagt: Tu m'as renvoyée. Odile ruft täglich an; sie ist andauernd auf Zimmersuche gewesen, dabei erkältet, fiebrig, aufgewühlt, weil abgetrennt von unserem gemeinsamen Leben, auÃerdem verzweifelt wegen des College, wo sie, wie sie meint, so sehr im Rückstand sei, daà sie nicht würde mithalten können. Und nun kommen ihr unsere Dispute in Erinnerung: wie ich sie »gemetzelt« habe, sagt sie, und all das führt zu einem kritischen hysterischen Zustand. Tu me détruis.
Ich habe mich also für das neue Buch oder das Weiterkommen durch ein Buch, für diese Hoffnung oder Illusion?, von ihr zu trennen gewagt, und nun bin ich schon zehn Tage allein, arbeite mich an etwas heran, von dem ich noch nicht abzusehen vermag, ob es gelingen wird, bin im Tunnel und, wenn es dunkelt, von Schreckgespenstern heimgesucht. Und dann habe ich, das ist ein Mechanismus, nur den einen Wunsch, und dies in der Stärke einer Zwangsvorstellung: mich, um es altertümlich auszudrücken, mit einem Weibe zu vereinen. Nur das möchte ich, ist es ein Unterkriechen? Aber an der Heftigkeit der Zwangsvorstellung ermesse ich den Grad meines Horrors, jedenfalls geht das weit über Lustbefriedigung hinaus. Ich weià nicht was es ist, aber stark ist es.
Welch eine Tollkühnheit, die Trennung zu wagen.
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La veille de mon cinquantième anniversaire.
Heute abend kommt Unseld, wir essen zusammen in der »Closerie des Lilas«. Vom neuen Buch habe ich jetzt die ersten 50 Seiten gewonnen, das heiÃt, Struktur ist gefunden, das Ganze eingefädelt, auch ist mir bewuÃt, was das
Ganze soll: Es geht um das Handwerk des Schreibens und um das Handwerk des Lebens, es geht um Fremde und Heimat, es geht um Kälte und Liebe. Das Buch ist von der Struktur her wild, ein Geknäuel, ein wahrer Knäuel von vielem, es ist auch eine Art fernes Echo, wenn nicht Ãquivalent von Canto , und es hat auch etwas von Gerichthalten über sich
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