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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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überflog ich eine stille menschenleere vorfrühlingshafte grünbraune oder bräunlichgrüne Landschaft, zitternd vor Glück.
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    Merkwürdige Verfassung nach der Heirat – Hochzeitsfest zauberisch im luxuriösen Appartement von Botschaftsrat R., Nähe Champs de Mars mit annähernd 50 Personen. Ein wunderbares Fest, das jedoch unserer Wirklichkeit in keiner Weise entsprach, weil es Glück, wenn nicht Arriviertsein spiegelte, während mich und uns beide danach lauter ungelöste Probleme erwarteten – kurz: Ich fiel hinterher in eine merkwürdige Verfassung, als hätte ich mich nun aller Rückzugsmöglichkeiten und der alten Heimat begeben, ich war ins Leere verstoßen, die hergestellten Verhältnisse überfielen einen Ängstlichen, der Sprung nach vorn hatte mich des Muts beraubt, ich sah nurmehr traurig endende Leben vor mir, der auf unserem Fest in seiner Hinfälligkeit und Besoffenheit am Boden liegende heulsüchtige Maler B. beeindruckte mich vielsagend, ich dachte andauernd an all die traurig endenden Künstlerleben wie an den armen Robert Walser, den sich umbringenden Hemingway, den sich da
vonstehlenden Maler Friedrich Kuhn, den sich im Alkohol ersäufenden Joseph Roth … Ich sah mein unfertiges Buch, und wenn ich das Buch nicht schaffte? Überhaupt sah ich jetzt tausend Möglichkeiten eines traurig endenden Ausgewanderten vor mir, eines im Exil Zu-Grunde-Gehenden, ich war einmal mehr vorwärtsparalysiert.
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    Ich lese als Begleitlektüre rororo-Monographien, eben habe ich die über Hemingway fertiggelesen. H. ist ein Autor, der mich, eigentlich gegen meine Art, immer wieder sehr beeindruckt, ich glaube sogar, daß ich ihm einiges verdanke.
    Hemingway hat sich lebenslang mit der Todesangst konfrontiert. Es heißt von ihm – einleuchtend –, er sei mit diesem amerikanischen Pioniergefühl, einem Gemisch aus Heldenbereitschaft und Unsterblichkeitsglauben und der Zuversicht in die unbeschränkten Möglichkeiten, aus der Reinheit ›oben in Michigan‹, der Gegend des doppelherzigen Stroms und der großen Seen aufgebrochen, ein geborener Abenteurer. Erste Einführung in die Liebe durch ein Indianermädchen – sein Vater war Arzt und versorgte die Indianer in einem nahegelegenen Reservat. H. geht früh von der Schule ab, wo er als Lieblingsbeschäftigung Sport und Schreiben betreibt; die Liebe zum Angeln und zur Jagd hat er vom Vater. Ein Junge, der boxt und die Schülerzeitung mit Beiträgen beliefert. Und dann geht er als halbes Kind an die Isonzo-Front. Er kehrt in der Uniform eines Leutnants des amerikanischen Roten Kreuzes verwundet zurück, ein Held, ist aber fortan psychisch gestört, hat Schlafschwierigkeiten, ist labil, und nun unternimmt er einen wahren Kreuzzug – auf amerikanisch –, um der Nachwirkungen des Schocks und der omnipräsenten Todesangst Herr zu werden. Wie kann man mit der Todesangst leben? Wie kann man mit der Gewißheit der Todesverdammnis ein großräumiges amerika
nisches Leben führen, wie kann ein Puritaner als Nihilist bestehen? Er geht in den Journalismus, wird Reporter, heftet sich als Nachrichtenmann an die Fersen der Verderbnis; er bevorzugt die rauhe Lebensseite, nicht nur um sich zu stählen, sondern um sich an das Unverdauliche zu »gewöhnen«. Und dann geht er nach Europa, wiederum als Korrespondent einer Zeitung, mehr aber, um von der Alten Welt zu lernen, was? tragisch leben zu lernen, mit der Tragik leben zu lernen. Er geht nach Paris, und dort wird er zum Schriftsteller. Er beginnt, den im Krieg erlittenen Schock, seine Austreibung aus dem Paradies des amerikanischen Traums, zu verarbeiten.
    Und dazu erfindet er die Alter-ego-Figur Nick Adams. Wie kann man als Nihilist leben? Man muß ein Schreiber-Ethos entwickeln – er wird Stilist. Aber er bedient sich, sentimental und puritanisch, wie er von Haus aus ist, einer Sprache des lapidaren bis brutalen Realismus. Er schreibt von leerausgehenden Siegern, von Untergehenden, männlich Untergehenden. Von Angeschlagenen. Fiesta .
    Die Todesfurcht ist für ihn offenbar omnipräsent und dies bis zu einem krankhaften Grade. Er geht nach Spanien, in das Todesland, wo er den Stierkampf entdeckt, das Ritual des Tötens. Der Stier stirbt stellvertretend für den Sieger, diesem Aufschub vom Tode gewährend. Diese heidnische mystische

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