Die Belagerung der Welt - Romanjahre
das nur fertig, so ohne Worte? Möglicherweise hat sie genickt zu meinen Vorschlägen, sonst nur Abweisung. Jetzt lenke ich uns in einen Stripteaseladen, nonstop Strip, und wir sitzen wieder im Dunkeln und auf der Bühne die armen Schönheitstänzerinnen, wie man sie einst nannte, jetzt sind es hart arbeitende Mädchen, man sieht sie mit ihren Kleiderkoffern und Taschen von Laden zu Laden, von Vorstellung zu Vorstellung die StraÃen überqueren. Und eine war so mager, und nun sprach meine Begleiterin, sie rief mit einem vogelartigen Laut aus, aber die kann ja keine Milch geben, die hat keine Brüste, die ist ja ganz flach, ruft sie aus, und dann umarmt sie mich heftig und zärtlich und küÃt mich aufs Ohr und dann auf den Mund und umhalst mich. Und wir verlassen das Lokal und gehen Hand in Hand und hinter uns einige Männer, die auf sie einreden, und ich höre sie immer bloà sagen, je sais où je suis, je sais ce que je fais. Es sind Algerier, es ist die Zeit des Algerienkriegs, und sie Algerierin, und es wird nicht gern gesehen, wenn eine Algerierin mit einem Franzosen, denn für einen solchen halten mich die Männer hier, ausgeht oder ins Bett geht, und dann erfuhr ich auch, daà sie in einer Familie als Hausmädchen arbeite und noch nicht lange im Land sei und blutjung, und wir gehen in ein Hotel und ziehen uns aus, und wie es losgeht, das Spielen, denke ich, es ist ein Zwangs
denken, hier wirst du dir die Ansteckung holen, hier solltest du nicht, warum dachte ich es? wohl weil ich Nordafrika dachte und dieses Afrika automatisch mit Gefahr gleichsetzte, damals, jedenfalls war es nun an dem Mädchen, nicht zu begreifen, mein abwehrendes Verhalten nicht zu verstehen.
Wir trennten uns frühmorgens, tranken einen Café, und ich erinnere mich gefragt zu haben, ob ich ihr etwas schenken dürfe, und daà sie geantwortet hat, sie würde sich gern ein paar Strümpfe kaufen.
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Entwurf
Die Namen bestimmter Verlagshäuser hatten einen magischen Klang, denn hier waren sie als Unbekannte eingetreten, hier ausgeschlüpft und selber zu Namen gekommen, die Dichter, die ich verehrte; und sie hatten ihrerseits auf die Verlage abgefärbt. Es war nicht gleichgültig, unter welchem Verlagssignet ich einen Autor beim Stöbern im Antiquariat entdeckte. Es war ein Staunen, aber auch eine Genugtuung, als ich Robert Walser zu einer Zeit, da er längst wieder vergessen und antiquarisch für ein Trinkgeld zu haben war, in einer schönen Cassirer-Ausgabe erstand. Er war auch bei der Insel, auch bei Kurt Wolff erschienen. Ich konnte mir zwar den Gehülfen in natura nur schwer unter den damals Tonangebenden vorstellen, und dennoch empfand ich etwas wie Stolz, als könne ihn sein illustrer Verlag posthum in der Ãffentlichkeit rehabilitieren.
Ãber das Verhältnis Autor/Verleger nachzudenken, hatte ich noch keine Veranlassung, trotzdem ging mir nahe, was Thomas Wolfe an seinem Partner Maxwell Evarts Perkins vom Scribner-Verlag gehabt haben muÃte. Wolfe verströmte sich in seinen Manuskripten hemmungslos, und Perkins machte Bücher aus Wolfes Fluten. Er bestärkte, beriet, be
schützte, beschnitt ihn. Vielleicht »machte« er ihn bis zu einem gewissen Grade. Perkins war Wolfe so sehr ein Wahlvater, daà er sich eines Tages von dem Ãber-Ich ablösen zu müssen glaubte.
Auch an ein eigenes Buch zu denken, lag damals noch fern. Ich schrieb für mich und für die Schublade, und dennoch muà sich schon früh der Wunsch eingegraben haben, dereinst, wenn es je so weit käme, in einem Verlag und bei einer Verlegerpersönlichkeit herauszukommen, dem die in meinen Augen echten Dichter meiner Zeit zugehörten. Vielleicht verband sich damit auch die Vorstellung, nur so sei ein »beglaubigter« Eintritt in die Literatur möglich.
»Damals« war in sehr jungen Jahren, und als es zu meiner ersten Buchveröffentlichung kam, war ich knapp unter 30. Ich hatte lange zugewartet und publizierte als erstes einen kleinen Band Kurzprosa (bei Scherz) aus Ungeduld. Ich brauchte den gedruckten Beweis, auch vor mir selber.
Zwei Jahre darauf traf ich Siegfried Unseld.
Herbst 1961. Unseld war zur Premiere von Max Frischs Andorra nach Zürich gekommen, und Frisch, den ich während eines längeren Romaufenthalts kennengelernt hatte und nun in Zürich wiedersah, schlug mir vor, mich mit den Suhrkamp-Leuten
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