Die Belagerung der Welt - Romanjahre
zusammenzubringen.
Ich hatte Frisch auf der StraÃe getroffen, ich selber war auf der StraÃe, denn ich hatte eben eine beginnende bürgerliche Karriere weggeworfen, um in Freiheit einen Roman zu schreiben. Zwar stand ich in Verbindung mit einem neuen Verleger, der sich auf meinen Kurzprosa-Erstling hin gemeldet hatte und bereit schien, den Roman in statu nascendi unter seine Fittiche zu nehmen. Aber alles war noch offen. All das sagte ich Frisch. Er riet mir, keine Abmachungen zu treffen, ehe ich die Suhrkamp-Leute gesehen hätte.
Die Suhrkamp-Leute,wie Frisch sagte, waren Siegfried Un
seld und Walter Boehlich. Sie hatten mich ins Hotel »Urban« bestellt, das heute verschwunden ist; damals war es das Literatenhotel Zürichs.
Ich hatte, als ich das Hotel betrat, einige Romanskizzen bei mir und auÃerdem einen auf Tonband gesprochenen Text, Entwürfe, Sprachmuster. Im Hotelzimmer spielte ich das Tonband ab, las aus den Skizzen vor. Das Zimmer ist eng, wenigstens in meiner Erinnerung. Siegfried sitzt in jener schlafähnlichen Versunkenheit da, die im Konzertsaal vorherrscht, den Kopf geneigt. Ich sehe ihn fragend zu Boehlich blicken, sehe diesen nicken. Die Fragen betreffen den raschestmöglichen Abgabetermin, meine finanziellen Bedürfnisse zur Ãberbrückung fehlenden Einkommens, das Vorgehen â die Bedingungen, die gleich in einen Vertragsentwurf aufgenommen werden.
Ich war als unbekannter Passant ins Hotel gekommen, und nun ging ich einigermaÃen benommen zum Aufzug und als Suhrkamp-Autor auf eine StraÃe hinaus, die wie niegesehen dalag. Alles war neu, die Zukunft stand scheunentorgroà offen. Der Roman hatte noch keinen Titel. Er wurde auf Weihnachten 1962 abgeliefert und erschien im Herbst 1963 als Canto .
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Ich beschreibe diese erste Begegnung im Staccato, weil sie so vehement und gleichzeitig barsch verlief und alles nach Aufbruch schrie. Ich sah mir wie einem Glückskerl zu, als ich nach Hause eilte.
Das Buch schrieb ich, wenn auch nicht in der vereinbarten Schnellstzeit, so doch in einer rauschhaften Aufbietung meiner Geister wie in Selbsthypnose nieder. Auch dieses Hochgefühl habe ich so nie wieder gekannt.
Es bedurfte eines Siegfried Unseld, um bei einem angehenden Autor oder besser bei einem in Gärung befindlichen literarischen Versprechen auf nicht viel mehr als ein Sprach
funkeln, eine Duftspur, mit einem Verlagsvertrag vorbehaltlos zu reagieren und dies auf der Stelle.
Es ist bei ihm weder Anwandlung, Stimmung noch Spekulation, es ist Witterung, ja, schon, aber diese orientiert sich nicht einfach am Wind, sondern an Geschriebenem, an der Artikulation der Wörter und Sätze, am Text. Wenn er in einem Text den Ton, das Pochen, den Furor, das Unerhörte, das Etwas verspürt, das in seinem Verstand den echten Schriftsteller, womöglich den Neuerer verrät, dann verwandelt sich der GroÃadmiral in literarischen Gewässern zurück in den textverliebten Lesenden, einen zu Wagnissen entschlossenen Verliebten. Der Macher ist seine zweite Person. Aber es ist der Text, an dem er Feuer fängt, nur mittelbar die Person samt Habitus und Würden derselben.
Das macht, daà für ihn nur der schreibende, produzierende, der in Hervorbringungsmühsal gebeugte oder in seltenem Schreibgelingen dahinsegelnde Autor zählt. Bei diesem partizipiert er freudig temperamentvoll und nimmt auch die übrige Person groÃzügig in Kauf. Aber der pausierende, nur eben lebende oder gar stagnierende Autor ist weniger sein Fall. Was bewirkt, daà die Beziehung zum Autor immer dann etwas verblaÃt, wenn dieser statt mit Hervorbringungen mit seiner Niedergeschlagenheit oder anderen dem Schreiben hinderlichen Gebrechen befaÃt ist. Verständlich. Der Autor soll schreiben, nicht kränkeln. Wo käme der Verlag hin, wenn sich der Verleger auf das Verzagen kaprizierte statt auf das Verlegen.
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Meine Mutter lag noch zu Bett, in diesem Alterspflegeheimbett, das wie ein Babybett umgittert ist, MaÃnahme gegen das Herausfallen, Aus-dem-Bett-Rutschen; in einem Bett in der gegenüberliegenden Reihe des Sechs-Bett-Zimmers liegt wie immer die Alte, die ihre Puppe an sich gedrückt
hält. Meine Mutter liegt auf dem Rücken, der Kopf mit weitoffenem Mund leicht nach hinten gelehnt. Das Gesicht abgemagert, Haut und Knochen. Nur das leise Röcheln verrät, daà sie noch lebt.
Früher Nachmittag. Ich weckte sie, und sie
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