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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Gebärden, dem reizenden oder verhaltenen Benehmen, ein Mädchen, eine Dame, eine Frau, und dann steht kurz danach diese wehrlose Nackte da, und in der Nacktheit die Preisgegebenheit, und die Brüste wippen leicht und die Würde von Hüften und Gesäß und die lieben Arme und die Scham und dann das Sich-Anfassen und -Streicheln, das Umfangen und Ermessen des weiblichen Kontinents im Umfangen und immer mehr bis zum Kampfgeschlinge und Eindringen und diesem …: wenn es dir die Sinne verschlägt, weil du nun drin bist und blind bist und alles schwarz oder unendlich wird und du zu Hause bist, und ich denke, daß dieses Ankommen tief drinnen das einzige Ziel auf Erden, die einzige Blendung, Besessenheit ist, dieses Untergehen im Weibe, Ankommen und zu den Sternen verreisen oder versprühen, und das Verreisen und Versprühen die tiefste Lust, und das Empfangen wäre die Wür
de der Frau und wäre die Last und die Macht, ein Wissen, Heimat zu haben und Heimat zu bieten für diese blindwühlenden entwurzelten Männerwesen immer auf Kriegspfad oder Kreuzzug und dabei nur Heimat wünschend, Einlaß wünschend, und alles Geplänkel und Gerede zwischen Mann und Frau meint nur dieses Tiefe und Ewige. Ob es dennoch Mütterlichkeit sein mag, was wir suchen, Rückkehr in den alten ewigen zärtlichen weichen bergenden Leib, ob es dennoch immer nur das ist? Rückkehr?
    Die leise Melancholie dieser mit ihrem Leib Gastgeberin verkörpernden Partnerin, weil sie es weiß, darum weiß, das Sinnende Nachsichtige, nun, vielleicht verschöne ich auch, aber was da im Tiefsten vor sich geht, die Verwandlung im Fleische, kann im Geiste nie eingeholt werden.
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    Mir träumte von einer Schriftstellerversammlung, auf welcher beschlossen wurde, daß alle Schriftsteller fortan von der Arbeit befreit werden sollten, und es gab einen Zug, prall voll, beinah schon einen Deportiertenzug voller grölender befreiter Schriftsteller, wohin fuhren sie nur? Und später sah ich Dürrenmatt auf einem Traktor durch weite Felder und über Hügel fahren, und er las vom Traktor aus in seiner berndeutschen Einfärbung aus seinen Werken, das hallte, seine Stimme hallte über einen Lautsprecher durch die Landschaft, während er gemächlich weg ruckzuckelte auf dem Landwirtschaftsgefährt, und er las und las schon fast wie Gottvater, der aus den Wolken spricht.
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    Und nun wieder in Paris. Mit Berliner Augen hat die Architektur diese äußerst feine helle vibrierende zärtlich strahlende Gestalt. Alles da, und die Frauen gehen dir voran und schreiten durch die feuerlohenden Reifen. Endlich wieder
im Element . Ein Überschäumen von Lebensgefühl, vorbei die triste Erstreckung, das lückenreiche Gerümpel von Stadt, das dumpfe zu Boden Geducktsein, das Kampieren in Straßen.
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    Mehrmals bin ich Mädchen nachgelaufen, es führte zu etwas oder zu nichts, aber die Erwartung war immer verzehrend.
    Ich schreibe hier von der Jurassierin und von der Engländerin . Die Jurassierin stand spät abends im Berner Bahnhof vor der Tafel mit den Abfahrtszeiten der Züge, die sie studierte, aber ich sah sie nicht gleich, ich wurde auf sie aufmerksam durch einen Ring von Männern, vorwiegend italienische Fremdarbeiter (die sich ja gerne auf Bahnhöfen aufhalten). Sie bildeten einen Ring oder eine Traube um etwas, und so blieb ich stehen, um dahinter zu kommen, was es da zu gaffen gab. Ich sah die Hinteransicht eines die Abfahrtszeiten der Züge studierenden Mädchens, es war ein sehr junges blondes Mädchen, und die Unabhängigkeit, die Ungezwungenheit, mit welcher das Mädchen sich da hinstellte, ausstellte, um die Züge zu studieren, elektrisierte auch mich. Sie mochte eine Herumtreiberin sein, sie war faszinierend. War sie »eine« (die zu haben ist), war wohl die Frage, die in den Köpfen der herumlungernden Männer brannte. Und dann löste sich das Mädchen aus dem Kreis und durchschritt den Ring der Männer, sie tat es weder herausfordernd noch ängstlich, nur natürlich, wie gefeit, nicht einmal sonderlich selbstbewußt. Und ich hinterher.
    Ich war spät auf den Bahnhof gekommen, nicht etwa, weil ich etwas mit Zügen zu tun hatte, ich war mit dem Wagen nach Bern gekommen und zwar zu einer Klassenzusammenkunft, nach vielen Jahren, und ich war deprimiert weggegangen von diesem Treffen mit Kerlen, in

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