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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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andere, nun sind sie in sich selber befestigt. Das Tier liegt gefesselt, bäuchlings gedemütigt auf der Waage. Das gleiche wiederholt sich mit dem anderen Tier, und kein Laut, kein Gackern des Aufbegehrens, nur das Herz, es muß wie toll schlagen. Und über den beiden in Todesangst paralysierten Tieren gehen die Stimmen hin und her, wird der Preis ausgehandelt, wird bezahlt. Dann klemmt sich der Käufer die Tiere unter die Arme und geht mit seinem Einkauf nach Hause. Ich schaue gebannt zu, auch wenn man den Hasen ergreift und zwischen Ohren und Füßen streckt, als handle es sich um den Balg und nicht um dieses sanfteste der Tiere. Es mag ja natürlicher sein, so zu töten oder zu selektionieren, aber dieses furchtbare Bestimmen über die letzte Stunde, dieses Eingreifen , buchstäblich, in anderes Leben, hat eine dermaßen erschreckende Gestik. Und Henne und Hase sind auf einmal Kreatur , in diesem Moment werden sie es in den Augen des Zuschauenden, erst in der Minute, da der Mensch sich an ihnen vergreift.
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    Raschid getroffen. Arbeitet jetzt auf eigene Faust als schwarzarbeitender Spengler, Installateur. Kleinwagen, Zweizimmer-Wohnung, mit Frau und zwei Kindern. Zwar hatten wir uns verabredet, aber er führte mich in ein eben eröffnetes Araberbistro von copains, die er treffen sollte. Es ist immer auch Opportunismus dabei, dem und jenem einen Gefallen tun, in meinem Fall hat er dem dortigen Patron, von dem er sich vielleicht einen Auftrag erhofft, einen Schweizer und erst noch écrivain zugeführt; und der Singsang der arabischen Musik von der Musiktruhe und die trostlose Männerversammlung. Sprach viel von respect, Respekt der eigenen Frau gegenüber, er, der damals Anreißer und wohl auch Zuhälter bei Pigalle gewesen war, hat nun eine respektierte Frau aus ehrbarem arabischem Hause, die zwar halbtags arbeitet, aber nie ausgehen würde, nicht einmal Fernsehen, geschweige denn Filme anschaut, sondern sich ausschließlich um Küche und Wohnung (Staubsauger!) und Kinder und um Raschid kümmert, der Respekt besteht unter anderem, soviel ich verstanden habe, darin, daß man nur im Dunkeln miteinander schläft und sich sozusagen nicht anfaßt, jedenfalls nicht nackt zeigt, man steigt verhüllt ins Bett und fingert nicht aneinander herum, eben das ist Respekt. Und er treibt seine Kunden im Bistro auf, er sagt ja auch von sich selber, daß er sehr beredt sei und dazu noch sprachgewandt, mischt englische Brocken mit italienischen und spricht sogar einige Worte Schweizerdeutsch, da sein Bruder im Luzernischen ein Restaurant betreibt. Raschid ist mit 14 Jahren von Constantine nach Algier gekommen und von da nach Genf, ohne Geld, bloß mit Fahrkarte bewaffnet, und dann hat er sich durchgeschlagen.
    Man konnte sich keine Schulen leisten, klar, man kam aus armen Verhältnissen und wurde mit der Pubertät aus dem Nest geworfen, Vogel friß oder stirb, das war nicht wie bei uns, wo die gewöhnliche Schule obligatorisch und natürlich
kein Luxus ist, wenn es früher auch so gewesen sein mag, dort ist es das Milieu, das den Schulbesuch erlaubt oder verbietet. Raschid will mich Montag zu einem Méchoui, einer Hammelkeule, bei eben diesem Bistrocopain, zu einem Freitisch einladen, einem Eröffnungsfestessen. Bei Pigalle habe er sich zeitweise mit einem Messer Respekt verschafft, da man ihn vertreiben wollte, als Anreißer vor einem Stripladen vertreiben? oder als Zuhälter? Wohl von beidem etwas. Er hatte sich vorgestellt, daß er mir eines Tages von den immigrés erzähle, damit ich als Schriftsteller darüber schreiben könne, er stellt sich also von unsereins vor, wir seien eine Art Dorfschreiber, die für andere formulieren, was sie zu sagen haben, aber nicht schreiben können. Kam in Genf an und hatte sich mit ganzen 25 Schweizer Franken nach Bern mitnehmen lassen als Autostopper, er begann also mit sage und schreibe diesem Sümmchen Anfangskapital, mit 14 Jahren. So ein Patron im Bistro – was braucht denn so einer als Anfangskapital, um sein Ding zu starten? frage ich R. Er meint, mit 50 000 francs, nouveaux francs wohlverstanden, möge es angehen.
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    Der Traum ist der verrückte Mund der Wahrheit, deiner Wahrheit, aber diese ist nicht einfach zu haben, wie über den Ladentisch gereicht, auch wenn sie sich noch so inständig an dich richtet, sie ist nicht zu haben, weil sie dich verschlingt,

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