Die Belagerung der Welt - Romanjahre
denen ich zwar
aufs selbstverständlichste den Schulkameraden von einst nicht nur sah und wiedererkannte, sondern vor mir hatte, aber nun waren aus diesen Jungen von damals Advokaten und Ãrzte und Lehrer geworden, gesetzte Personen, einer, ein Pfarrerssohn, der als Gymnasiast recht gut jazzte und ein modischer Angeber gewesen war, war eine Art verkrachter Geschäftsmann, ein Verkäufer geworden, immerhin interessant, weil er von der Spur abgekommen war, doch er roch immer noch aus dem Mund und trug immer noch diese schmalen Krawatten. Insgesamt war ich tief deprimiert weggegangen, was war aus uns allen geworden? Der angesehene Reiche hatte sich zum Erfolglosen gebeugt â leutselig war das Wort. Schrecklich, ich mochte noch nicht nach Hause fahren, durch die Nacht nach Zürich zurückfahren, ich trieb mich noch ein biÃchen in der Stadt herum, kam â auf den Spuren meiner jugendlichen Herumtreibereien â ganz automatisch auf den Bahnhof und lief auf diese Männertraube zu. Und dann trottete ich, ohne eigentliche Absicht oder Hoffnung, hinter dem freimütigen Mädchen her. Ãberhole, gehe an ihrer Seite, spreche sie an. Und sie antwortet, ohne Hochmut, ohne Koketterie, ohne alles. Wir gehen etwas trinken und danach ins »Mocambo«, einen Night Club, der jetzt vollgestopft ist, auf der Tanzfläche aus Spiegelglas schieben sich die Paare. Wir trinken im Dunkel, wir plaudern. Ich erfahre von ihr, daà sie Jurassierin ist und im Hotel wohnt, morgen fährt sie zurück. Tanzen wir, sage ich. Sie tanze nicht oder nicht gut, sagt sie, und wir tanzen, es stimmt, sie kann es nicht, sie tritt ungelenk herum, so daà ich sie fest und an mich halte. Wir küssen uns, ja wen küsse ich da? weià immer weniger. Wir tanzen, küssen und trinken, und dann nach LokalschluÃ, um vier oder fünf früh, trennen wir uns, da sie ja im Hotel wohnt, einem anständigen Hotel, und ich habe kein anderes Domizil als meinen Wagen. Ich notiere mir ihre Adresse, ich werde dich
besuchen, sage ich, ja, besuch mich, sagt sie, ich freue mich darauf. Und als ich Wochen später im Jura an der besagten Tür klingle, kommt sie mir nackt entgegen. Sie habe die Mutter erwartet, komme eben aus dem Bad, sei krank, glühe vor Fieber, man sieht es, aber ich sehe auch, wie wahnsinnig schön sie ist. Wie schön? Worte finden â das ist die Jurassierin.
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Ich war jung und auf Tantenbesuch in Paris und lief den Boulevard Rochechouart entlang und auf eine Gruppe von Gaffern zu, die sich vor einer StraÃenbar gebildet hatte und zwar weil gleich an der Tür zur StraÃe sich vor einem Musikautomaten ein Mädchen nicht nur ausstellte, sondern zur Musik wiegte, es sah hinreiÃend aus, ich dachte, die gehört wohl zur Bar, aber dann brach sie unversehens auf und marschierte davon und weg und den Boulevard hinunter. Und ich hinterher. Weià nicht mehr, wie sie aussah, die Meldung oder Lockung war bereits in mir eingetroffen, das Bild war eingefallen und kursierte in meiner Phantasie, und ich sehe mich neben der Kleinen daherstapfen durch den Karneval des Trottoirtreibens und in kleinen Abständen Anreden starten, aber die reagierte nicht und ging bloà immer weiter. Blieb vor einem Kino stehen, stellt sich an die Kasse, und ich, einmal blitzschnell reagierend, rufe: zwei Karten, bitte! und zahle.
Ein Horrorfilm, im Dunkeln sitzen wir nebeneinander und noch kein Wort gewechselt, noch kein Wort kam von ihrer Seite, der Film ist Dracula , ich sehe halb hin und halbseitig bin ich von der Nähe des Mädchens abgelenkt, das, o Wunder, bei einer schrecklichen Szene plötzlich aufschreit und sich an mich klammert, nein, ihr Gesicht in meiner Achsel verbirgt. Aber danach ist wieder die Wort- und Kontaktlosigkeit da. Und nach KinoschluÃ, es ist Abend geworden,
das Licht anders, die Leute auf der StraÃe andere Leute, das groÃe seufzende Entspannen hat mit den ersten Lichtern eingesetzt, und ich sage, trinken wir etwas und lenke uns in eine Bar, in welcher Schwarze spielen, eine schwarze Band, die Tür zum Boulevard ist offen, noch wenig Betrieb, und wir trinken etwas, und sie nicht gerade Milch, eher Cola oder so ähnlich, mit Strohhalm, und sie klopft leicht mit den Fingern zur Musik, sonst keine Reaktion, immer noch keine, obwohl ich alles versuche, wir kommen nicht ins Gespräch. Also brechen wir auf, aber warum bleibt sie bei mir? wie bringe ich
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