Die Belagerung der Welt - Romanjahre
drückte mir mit der Knochenhand meine Hand, schön daà du gekommen bist, ich freue mich ja immer, wenn du kommst, gerade heute dachte ich, er wird kommen. Siehst gut aus, geht's gut? Und dir, wie geht's dir? frage ich.
Gut, meint sie, eben nur ein biÃchen hingelegt, bin eben erst zurückgekommen, muÃt du wissen, ich war in der Stadt, ja. Und seit ich diese Gymnastikkurse besuche, geht's aufwärts, weiÃt du. Jaja, man darf nur den Humor nicht verlieren, den Homur, wie dein Onkel immer sagte, weiÃt du. Und nun erzählt sie mir die schönsten Lügengeschichten, was sie alles treibt, und daà sie eben die Wäsche vorbereitet habe in der Waschküche undsofort, und dazu drückt sie mit der Knochenhand die meine, bist ein Lieber, daà du immer kommst, ja, wenn ich dich nicht hätte. Undsofort. Und schaut mich aus den tiefen Augenhöhlen mit diesem Blick von woandersher an, der aber auch ein Komplizenlicht hat oder ein Fünkchen Ãberzeugenwollen, also Zweifel, und erzählt, erzählt, während ich zum Fenster auf die winterlichen Bäume und den winterlichen Garten schaue und merke, daà ich eigentlich ganz froh bin, froh geworden bin, weil Mutter so schön phantasiert und nicht klagt. Offenbar lebt sie jetzt ganz oder fast ganz in dieser eingebildeten anderen Welt, die zuzugeben sie früher fürchtete, sie wollte ja nicht als kindisch gelten, darum die Formelhaftigkeit, mit der sie Würde und Wissen vorspielte. Aber jetzt ist sie endlich ganz in die Traumwelt hinübergetreten und darum nicht beklagenswert. Ich bin ganz stolz auf diese Leistung. Die Wirklichkeit ist immer eine Funktion unserer Einbildung, und Mutter hat Einbildungskraft.
Die andere sagt kein Wort und drückt nur die Puppe an sich oder kuschelt sich an die Puppe. Im Gang ganz hinten am Fenster sitzt klein und allein eine Greisin. Wie sie mich sieht, höre ich sie »bitte« »bitte« murmeln. Sie bittet mich zu kommen. Oder daà ich sie nicht allein lasse. Bitte, tönt es, während ich enteile. Unten schlüpfe ich schnell durch das Portal, denn eine verstörte Alte hatte sich auf mich zu bewegt wie ein Apparat, wie eine Spukgestalt. Als ich mich von drauÃen umdrehe, steht sie hinterm Glas der Türe und winkt mit einer Hand, die wie ein Blatt flattert. Hatte sie schon mal gesehen, wie sie auf jedermann, der vorbeiging, zuschlurfte. Sie möchte immer entkommen. Greisenkinder haben Angst vor dem Verlassenwerden, kuscheln das Gesicht an die Puppe, die sie an sich pressen. Die jungen Schwestern benehmen sich wie Kindergärtnerinnen oder Babysitter.
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Sonntag früh mache ich immer den Markt längs der Boulevards Barbès und Ornano, und immer muà ich mich bei jenem Eierhändler aufhalten, der in einem Holzgitter lebende Hühner hält, unter denen auch mal eine Ente ist. Selten auch ein Kaninchen, sitzt mit den schönen Lauschern zahm auf einer Kiste und schnüffelt. Das lebende Federvieh ist für die Araber bestimmt, die die Tiere zu Hause töten und schächten.
Der Strom der Menschen, der sonntagmorgendlichen Einkäufer längs der Gemüsestände, ein Gedränge; und in dem hölzernen Pferch das Federvieh, das sich aneinanderdrängt, eine Ente zwischen den Hennen. Die Bewegungen langsam, vielleicht verschüchtert, die fragend zuckenden Köpfe, die diese Seitenblicke schleudern. Und dann greift eine Hand, die zu einem in den Pferch starrenden, die Hennen musternden Araber gehört, hinunter, schiebt die Hennen auseinan
der, um die eine, auf die er aus ist, zu packen. Die Hand greift den Vogel am Flügel, zerrt ihn hoch, ändert den Griff, so daà sie den Ansatz der beiden Schwingen zu packen bekommt. Dasselbe vollführt die andere Hand, und der Blick ist vollkommen sachlich, fleischbezogen, kaufbezogen; und nun hat er die zwei Hennen so in Händen, die weder gackern noch flattern, sondern in totaler Ergebenheit oder vielleicht angstgelähmt alles über sich ergehen lassen, während der Käufer darauf wartet, daà er an die Reihe kommt, also mit dem Händler, der weiter oben am Ladentisch bedient, sich ins Benehmen setzen kann. Jetzt ist es so weit, der Händler greift mit derselben Manier, als handle es sich um einen Kohlkopf, einen Bund Lauch, die erste der Hennen, er legt oder drückt sie auf die Waage, verknotet die beiden Schwingen, das heiÃt, er steckt die eine schräg unter die
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