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Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Titel: Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Aly
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auch quellenkritisch sehr schwierige Thema historisch zureichend zu behandeln.«
    Als Nächster gutachtete der Hamburger Politikwissenschaftler Klaus Jürgen Gantzel. Er gewann meinem Antrag und meinen damals noch übersichtlichen Veröffentlichungen, einschließlich der Dissertation, viel Gutes ab und fasste meine Hintergedanken und Fragen präzise zusammen: »Das prima facie historische Thema des Vorhabens ist sehr interessant, insoweit es in einem noch unerforschten Teilgebiet einen Beitrag leisten will zur Analyse nationalsozialistischer Herrschaft. Enorme Relevanz und aktuelle Brisanz gewinnt es, wie der Antragsteller zu Recht betont, indem er herausarbeiten will, welche Argumentations- und Handlungsmuster die an der nationalsozialistischen Kinder-›Euthanasie‹ beteiligten Wissenschaftler beziehungsweise Ärzte bestimmt haben. Es geht ihm hier um die Überprüfung der ideologiekritischen Hypothese, dass ein bestimmtes medizinisches Selbstverständnis – die Utopie absoluter Gesundheit und der Glaube, menschliches Leiden allein naturwissenschaftlich ausschalten beziehungsweise überwinden zu können – fast zu einer Identität dieser Wissenschaft mit der NS-Herrschaft führte. (…) Durch Einbeziehung des Widerstands gegen die Kinder-›Euthanasie‹ fällt auch noch eine Differenzierung des häufig bloß abwertend gebrauchten Begriffs ›konservativ‹ ab.«
    Nach weiteren, in politologischem Barock gehaltenen Lobesworten meinte Gantzel: »Überhaupt meine ich, dass wir es hier mit einem Nachwuchswissenschaftler zu tun haben, der nicht ohne Weiteres den üblichen Vorstellungen von wissenschaftlicher Karriere entspricht und bisher eigenwillige, jedoch durchaus sachgerechte Methoden verwendete. Ich sehe hier ein innovatives Forscherpotential, das gefördert werden sollte.«
    Darauf erbat Referent Rostosky von Ludwig von Friedeburg, dem vormaligen hessischen Kulturminister, ein Obergutachten. Dieser stellte fest, alle Beteiligten »messen dem Vorhaben große Bedeutung zu«, alle »halten es für gut begründet«. Angesichts der Zweifel Brachers und Jäckels an meinen methodischen Fähigkeiten empfahl er, mir ein Forschungsstipendium zunächst für ein Jahr zu gewähren und dann auf der Grundlage eines Zwischenberichts über die weitere Förderung zu entscheiden. Rostosky machte sich den Vorschlag zu eigen und leitete die Angelegenheit dem Hauptausschuss der DFG zu.
    Um die Sache gut vorzubereiten, übersandte er die Unterlagen an den einzigen Historiker, der damals Sitz und Stimme im Hauptausschuss hatte, an den Göttinger Mediävisten Hartmut Boockmann. Er trat Friedeburgs vermittelndem Vorschlag bei, »in der Hoffnung, diesen schwierigen Fall damit ein wenig gefördert zu haben«. Im Hauptausschuss der DFG treffen Kulturpolitiker und Professoren, insbesondere solche der Ingenieur- und Naturwissenschaften, sehr viele Entscheidungen in einer Sitzung. Am 27. Mai 1983 entschieden sie: »Der Antrag wird abgelehnt.«
    Anschließend vergab Eberhard Jäckel an Volker Rieß eine Doktorarbeit zu den Euthanasiemorden, die nach vielen Jahren in thematisch reduzierter Form abgeschlossen wurde. Bald darauf folgte Hans-Ulrich Wehler mit einem ähnlichen Projekt. Zuvor hatte er Kurt Nowak eingeladen, den Autor der ersten gründlichen geschichtswissenschaftlichen Arbeit zu den Euthanasiemorden, um das Vorhaben zu diskutieren. Wie mir der freundschaftlich verbundene Kollege mitteilte, lag auch bei dieser Gelegenheit mein abgelehnter Antrag auf dem Tisch. Schlecht kann er nicht gewesen sein; nur mussten eben die richtigen Methodiker ran. Aus Wehlers Projekt entstand das Buch von Hans-Walter Schmuhl »Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie«, das 1987 erschien.
    Gelungene geschichtspolitische Aktionen
    Während des geheimnisvollen Hin und Her um den Antrag hatte ich weitergearbeitet, meine Fragen erweitert und Anträge auf Aktenbenutzung gestellt. 1983 gründete ich mit Gleichgesinnten – darunter Karl Heinz Roth, Ulrich Schultz, Angelika Ebbinghaus und Matthias Hamann – die wissenschaftlich-politische Reihe »Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik«, deren Bände eins und zwei 1985 ausgeliefert wurden. Ich wollte die Reihe »Der Wert des Menschen« nennen. Den anderen Mitgliedern unseres Kollegiums erschien das zu konservativ, doch fiel mir bis 1990 die Aufgabe zu, die ersten zehn Bände zu organisieren und zu redigieren. Das erforderte Energie. Wir finanzierten die Arbeit auf

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