Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)
Autorin so, wie es sich meiner Ansicht nach gehört. Einige der Befragten schwiegen, einer fauchte nach einer faulen Ausrede herrschaftlich: »Für mich ist die Angelegenheit damit erledigt.« Nur einer hat sich sofort entschuldigt und die (vergleichsweise harmlose) Angelegenheit bedauert, er sei genannt: Wolfgang U. Eckart aus Heidelberg. Es gibt sie noch, die guten Sitten. Selbstverständlich schreiben nicht alle Autoren die Ergebnisse anderer ab oder inkorporieren sie mit leichten Retuschen in ihre Werke. Dazu zählen nach meiner Lektüre für dieses Buch: Michael Schwartz, Thomas Schilter, Petra Lutz und Heinz Faulstich.
Ein weiteres, nicht seltenes Phänomen bedarf zumindest eines Beispiels. In seiner gewichtigen, etwas umständlichen, aber nicht schlechten Dissertation »Zwangssterilisierung und ›Euthanasie‹ im Saarland« gelangte Christoph Braß, heute Beamter im Bundesministerium für Bildung und Forschung, im Jahr 2004 am Ende zu einem »wesentlichen Ergebnis«: Den Anstaltsärzten sei im Zuge der »sogenannten ›Zwischenverlegung‹ (…) ein beträchtlicher Ermessensspielraum zugestanden« worden, und das widerlege die »gängige Vorstellung einer strikt zentralen Lenkung des Mordprogramms«. Keine Frage, man kann das Rad fünfmal neu erfinden, verehrter Herr Braß. Lesen Sie doch bitte meinen Aufsatz von 1989 »Die ›Aktion T4‹ und die Stadt Berlin«, jetzt die Seiten 71–74 in diesem Buch. Dort finden Sie alles über die Spielräume der Anstaltsdirektoren, dargestellt anhand der Zwischenanstalt Neuruppin, gestützt auf sehr viel bessere Quellen als die Ihren. Vor allem aber hätten Sie sich dann vielleicht eine unsinnige Schlussfolgerung erspart. Sie behaupten, die Mitwirkung der Anstaltsdirektoren habe diese zu »Rettern« gemacht. Davon kann keine Rede sein. Die Direktoren wollten nämlich nur eines: In die Gaskammern sollten die »Richtigen«, die arbeitsunfähigen und besonders lästigen Patienten, überstellt werden. Wer so wie Braß argumentiert, wird demnächst vorschlagen, die Selektionsärzte an der Rampe Auschwitz als Retter zu ehren.
Manchmal kommt es mir so vor, als würden viele deutsche Zeitgeschichtsforscher im eigenen Saft ersticken – publikumsscheu, gedankenarm und immer auf der Suche nach Drittmitteln und Druckkostenzuschüssen. Mich motivierten diese Zustände, es anders zu machen. Auch deshalb habe ich das Thema »Euthanasiemorde« nach vielen Jahren neu bearbeitet. Damit geht für mich eine lange Geschichte glücklich zu Ende. Womöglich war es für das Buch, meine weiteren Forschungen und meinen Lebensweg nicht schlecht, dass der Hauptausschuss der DFG seinerzeit das Projekt »zur Aufhellung eines Tabus« ablehnte. Wer weiß?
Abkürzungen
BArch
(deutsches) Bundesarchiv
BLHA
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam
Gekrat
Gemeinnützige Kranken-Transport-GmbH
GStA
Generalstaatsanwaltschaft
LArch
Landesarchiv
LA
Landesanstalt
LG
Landgericht
NARA
( US-)National Archives and Records Administration
PA
Personalakte
RGBl.
Reichsgesetzblatt
StA
Staatsanwaltschaft
ZSTAP
Zentrales Staatsarchiv, Potsdam (der DDR)
ZSTL
Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen
Literatur
Frühere Arbeiten des Autors, deren Ergebnisse in das vorliegende Buch eingeflossen sind.
Aly, Götz:
Menschen, die lachen und weinen konnten. Kein Gedenkstein nennt die Namen der aus Alsterdorf Abtransportierten, in: GEW Hamburg, Gesundheitsladen Hamburg, VVN-Bund der Antifaschisten (Hrsg.), Von der Aussonderung zur Sonderbehandlung. Lehren und Forderungen für heute, Hamburg 1983, S. 22–30.
(mit Karl Heinz Roth) Die Diskussion über die Legalisierung der nationalsozialistischen Anstaltsmorde in den Jahren 1938–1941, in: Recht und Psychiatrie 1(1983), H. 2, S. 51–64.
Die wissenschaftliche Abstraktion des Menschen, in: Was ist der Mensch heute wert? Orientierung im Schatten des Nationalsozialismus. Tagung vom 29. April bis 1. Mai 1983 in Bad Boll, Protokollband 1983, S. 83–101; gedruckt in: Wege zum Menschen 36(1984), S. 272–286.
(mit Karl Heinz Roth) Das »Gesetz über Sterbehilfe bei unheilbar Kranken« (1984), siehe Roth, Aly.
Der Mord an behinderten Kindern zwischen 1939 und 1945, in: Ebbinghaus u.a. (Hrsg.), Heilen und Vernichten (1984), S. 147–155.
Euthanasie im Luftkrieg. »Es kommen jeden Tag Neuaufnahmen, da muß man
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