Die Berghuette
Vorsichtig lugte sie um die Ligusterhecke und erstarrte. Felix stand mit einer Frau auf der Terrasse, die sich deutlich sichtbar in seine Umarmung schmiegte und ihren Kopf an seiner Schulter liegen hatte.
Seine Hand streichelte über ihr Haar und sie hörte, wie er sagte: „Egal, was geschieht oder geschehen ist, ich werde dich immer lieben, Anja, das weißt du doch oder?“
Die Unbekannte gab nur einen Seufzer von sich und hauchte einen Kuss auf seine Wange. Felix legte seine Hand unter ihr Kinn und hob es an, so dass er in ihre Augen sehen konnte. Seine hellgrauen Augen strahlten sie voller Liebe an: „Ach, Anja!“
Mehr brauchte Caro nicht zu hören oder zu sehen. Sie erwachte aus ihrer Erstarrung und schlich leise zurück zur Hausfront. Das Blut pochte in ihren Schläfen, als sie sich gegen die Haustüre lehnte. So war das also! Sie war ein netter Urlaubsflirt gewesen, und nun hielt er seine geliebte Anja wieder in den Armen! Ein trockener Schluchzer entrang sich ihrer Brust.
Mit zitternden Händen öffnete sie die Haustüre und wankte in ihr Zimmer hinauf. Ohne viel zu überlegen zog sie ihre Tasche aus dem Schrank und begann in wilder Hektik, ihre Sachen zu packen. Sie hielt sich nicht damit auf, irgendetwas zusammenzulegen, sondern warf alles kreuz und quer in die Reisetasche. Sie sah ohnehin nicht viel, denn die Tränen strömten ihr über das Gesicht, während sie die schmutzigen Bergstiefel noch obendrauf packte und am Reißverschluss zerrte. Taschentuch hatte sie keines zur Hand, und so wischte sie sich immer wieder mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht, während sie die Treppe hinunter ging.
Im Wohnzimmer suchte sie den Hausschlüssel aus der Handtasche und legte ihn auf den Tisch. Dann nahm sie ihre Jacke von der Garderobe, hängte sich Reisetasche und Rucksack um und verließ das Haus. Immer noch blind vor Tränen stopfte sie ihr Gepäck in den Kofferraum des kleinen Fiesta, setzte sich ans Steuer und ließ den Wagen an. Eine Staubwolke wirbelte auf, als sie mit unnötig viel Gas das Haus in den Bergen verließ.
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Felix und Anja standen immer noch auf der Terrasse, als sie das laute Geräusch des abfahrenden Autos hörten. „Was war denn das?“, fragte Felix und ließ Anja los. Mit langen Schritten umrundete er eilig die Hausecke und konnte gerade noch die Staubwolke auf dem Weg nach unten sehen. Da Caros Auto nicht mehr auf seinem Platz stand, war ihm sofort klar, wer da so rasant ins Tal fuhr. „Was zum Teufel ist nur mit Caro los?“, schimpfte er und eilte ins Haus.
In ihrem Zimmer stand der Schrank offen und die Fächer waren leer. Sie war also abgereist. Aber warum nur? Sein Herz schlug bis zum Hals. Vielleicht war etwas mit ihrem Sohn passiert? Aber warum hatte sie ihm nichts gesagt? Er war ja schließlich hier im Haus gewesen. Kopfschüttelnd ging er hinunter ins Wohnzimmer. Außer dem Hausschlüssel lag nichts auf dem Tisch, kein noch so kleiner Zettel! Verdammt, was war da los?
Mit fliegenden Händen suchte Felix sein Handy und rief Caros Handynummer an. Es läutete ein paar Mal, dann meldete sich die Mailbox. Nach kurzem Zögern entschloss er sich, eine Nachricht zu hinterlassen. Seine Stimme klang nur mühsam beherrscht, als er in den Hörer sprach: „Caro, was ist los mit dir? Ist etwas mit Tobias passiert? Melde dich bitte bei mir.“
Inzwischen war Anja durch die Terrassentür ins Haus gekommen und fand einen ziemlich aufgewühlten Felix vor. „Sie ist einfach weggefahren!“, sagte er und blickte Anja ratlos an. „Tut mir leid, Schwesterherz, aber du wirst dich eine Weile um dich selbst kümmern müssen. Ich fahre ihr nach.“
Mit diesen Worten nahm er seine Autoschlüssel vom Haken und griff nach seiner Jacke. Anja begleitete ihn zu seinem Wagen, umarmte ihn und wünschte ihm Glück.
„Das wird Caro brauchen, wenn ich sie erst gefunden habe!“, sagte er grimmig und klemmte sich hinter das Steuer. „Kümmere dich bitte um Martin, wenn er kommt!“ Dann gab er Gas und folgte der gewundenen Straße ins Tal.
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Caro hatte vor einigen Minuten die kleine Holzbrücke passiert und erreichte nun die geteerte Staatsstraße. Links ging es ins Dorf, rechts nach Hause. Ein wenig ratlos hielt sie an der Einmündung. Um nach Hause zu kommen, musste sie mehr als zwei Stunden fahren, und sie hatte nichts zu trinken dabei. Außerdem brauchte sie Taschentücher. Das
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