Die Bernsteinhandlerin
wölfischen Begleiter trug er über den Schultern, und Barbara überlegte, dass es eigentlich kein Wunder war, dass dieser Mann für einen Mannwolf gehalten wurde. Ein ferner Betrachter, der Valdas auf diese Weise den Fluss überqueren sah, konnte kaum zu einem anderen Schluss kommen, als dass da ein Mischwesen aus Mensch und Wolf seines Weges zog.
Am anderen Ufer stieg er an Land und beugte sich nieder, um den Wolf abzusetzen, der daraufhin ein Stück vorauslief.
»Manchmal können die Augen einem einen Streich spielen«, sagte Barbara, während sie ihr Pferd ins Wasser trieb.
»Der Aberglaube vermag das ebenfalls«, gab Erich von Belden zurück.
»Es überrascht mich, dass Ihr bewiesene Tatsachen für Aberglauben haltet.«
»Ich zweifle nicht daran, dass der Satan existiert und dass er sich bisweilen auch in Gestalt von Hexen oder Mannwölfen zeigen mag. Aber genauso glaube ich, dass Menschen vor lauter Furcht etwas sehen, was gar nicht vorhanden ist. Valdas kann das irgendwann einmal doch noch teuer zu stehen kommen.«
»Da mögt Ihr recht haben, obgleich ich ihm das nun wirklich nicht wünsche.«
»Der Satan braucht keine grässlichen Tiergeschöpfe, um sich zu offenbaren. Dazu reichen oftmals ganz gewöhnliche, äuÃerlich unscheinbare Mitmenschen völlig aus.«
»Eine interessante Sichtweise.«
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Einen weiteren Tag folgten sie Valdas durch das Ãdland. Dann tauchte in der Ferne ein Dorf auf.
»Das ist Nyby!«, erklärte er.
»Klingt dänisch«, stellte Erich fest.
»Ganz recht! Dort wohnen Dänen und ein paar geflohene semgallische Bauern«, gab Valdas zurück. »Die Dänen haben sich hier in den Jahren angesiedelt, als dem Orden dieses Gebiet gehörte, und sie haben sich geweigert, ihre Siedlung aufzugeben, als er es wieder verlor.«
»Folglich leben sie an diesem Platz mehr oder weniger auf sich gestellt«, meinte Barbara.
»Und trotzdem ist das Dorf jedes Mal ein bisschen gröÃer, wenn ich im Abstand von ein paar Jahren hierher komme. Nach jedem Bauernaufstand in Semgallen flüchten Bauern über die Grenze, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt, wenn
sie nicht riskieren wollen, von den Ordensrittern am nächsten Baum aufgeknüpft zu werden. Manche von denen siedeln sich eben in Nyby an.«
»Und die anderen?«, wollte Barbara wissen.
»Die werden zu Wegelagerern und Gesindel.« Valdas deutete mit seiner Lanze in Richtung des kleinen Ortes. »Ihr werdet sicher interessante Neuigkeiten erfahren können.«
»Ist es nicht besser, den Ort zu umgehen?«, fragte Barbara.
Valdas lachte. »Aber warum denn? Die meisten Dänen glauben nicht an Mannwölfe, und die wenigen, die sich von den Semgallen anstecken lassen, haben so viel Furcht vor mir, dass sie mich in Ruhe lassen. Im Ãbrigen kenne ich ein paar Männer dort, und es kann nicht schaden, wenn Ihr Euch mit Proviant versorgt.« Barbara nickte. Das Gebiet von Semgallen im südlichen Kurland war berüchtigt für seine aufrührerischen Bauern, die nach mehr Freiheit von der Drangsal der Ordensherrschaft strebten, die mit aller Härte die Abgaben eintrieb.
Die letzten VorstöÃe der Litauer, unter denen die Semgallen ebenso zu leiden gehabt hatten wie die Ritterbrüder und die deutsche Stadtbevölkerung, waren viel zu lange her, als dass man die Kreuzler noch als Beschützer hätte empfinden können. Und von den öffentlichen Krankenhäusern in den Städten profitierten die Bauern wenig. Die meisten von ihnen vertrauten ohnehin nicht den Künsten eines dort praktizierenden Medicus, sondern eher ihren eigenen, traditionellen Heilmethoden.
Barbara hatte in Riga zwar von den periodisch aufflammenden Aufständen in Semgallen gehört, doch man pflegte sie unter der Kaufmannschaft und den Bürgern der Stadt allenfalls hinzunehmen wie ein fernes Gewitter, bei dem man sicher war, dass es das eigene Heim nie erreichen würde.
Ãhnliches hatte es auch in Estland und auf der Insel Ãsel
wiederholte Male gegeben, aber man vertraute darauf, dass der Orden diese Probleme auf seine Weise löste: mit dicht gestaffelten Reihen schwerer Panzerreiter, gegen die ein Haufen Bauern mit Mistgabeln und Sensen von vornherein kaum Aussicht auf einen Sieg hatte.
Jetzt dagegen betraf sie die Lage in Semgallen persönlich. Und falls dort gerade Unruhen ausgebrochen waren,
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