Die Bernsteinhandlerin
gepasst, überlegte er, während er kurz stehen blieb und den Blick über die Hansestadt nahe der Düna-Mündung schweifen lieÃ: über den Dom, das Schloss, die Befestigungsanlagen. Bürgerhäuser in ordentlichen Reihen prägten das Bild â nicht die öffentlichen Bauten oder die Residenz des Erzbischofs.
Diese Bürgerhäuser hatten vier, fünf, manchmal sechs Stockwerke und bildeten quadratische Blocks mit Innenhöfen. Bartelsen wurde sofort an die Verhältnisse in Lübeck erinnert, obwohl die Stadt insgesamt kleiner und alles ein bisschen weniger prächtig war als in der heimlichen Hauptstadt der Hanse.
In den StraÃen herrschte rege Betriebsamkeit. Händler boten ihre Waren feil, Bettler appellierten an die christliche Nächstenliebe, und Gaukler buhlten mit den Marktschreiern um die Aufmerksamkeit der Passanten.
Thomas Bartelsen fragte sich zum Haus der Heusenbrinks durch. An der Tür öffnete ein Diener.
»Unser Herr Heusenbrink empfängt heute keine Gäste«, erklärte dieser. »Ihr müsst also an einem anderen Tag wiederkommen, ganz gleich, was Euer Anliegen sein mag.«
»Ich bin Thomas Bartelsen«, erklärte der Schreiber und setzte dabei den Sack mit seinen Sachen ab, da er ihm nun auf dem Rücken unangenehm wurde und er keine Lust hatte, die ganze Zeit über gebeugt dazustehen.
»Ich werde Euren Namen erwähnen. Aber im Moment â¦Â«
»Seid doch bitte gleich so nett und sagt diesen Namen dem Herrn des Hauses.«
»Das ist im Augenblick nicht möglich!«
»Ich bitte Euch! Euer Herr kennt mich und auch seine Tochter Barbara, von der ich hoffe, dass es ihr ebenso gut geht wie dem Herrn Heinrich.«
Das Gesicht des Dieners blieb völlig unbewegt.
»Herr Heinrich hat im Augenblick wirklich keine Zeit für Euch. Er hat hohen Besuch, mit dem er gewiss noch eine ganze Weile konferieren wird!«
»Ich werde warten!«, gab ihm Bartelsen zu verstehen. »Und wenn Heinrich Heusenbrink erfährt, dass ich soeben mit dem Schiff gekommen bin und ihm eine Nachricht über die nach
wie vor in Kraft befindliche Verlobung seiner Tochter zu überbringen habe â¦Â«
Der Diener schien sich unschlüssig darüber zu sein, was er jetzt tun sollte. »Wartet hier«, beschied er und schloss die Tür. Bartelsen harrte geduldig aus, bis der Diener zurückkehrte und ihn hereinbat.
»Herr Heusenbrink wird Euch empfangen, aber erst, wenn seine Gäste gegangen sind.«
»Ich kann warten«, verdeutlichte der Schreiber.
»Das werdet Ihr auch müssen, und ich hoffe, Ihr bringt wirklich die nötige Geduld mit.«
Bartelsen folgte dem Diener in einen Saal, wo ihm ein Platz auf einem kostbaren Diwan angeboten wurde.
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Heinrich Heusenbrink befand sich derweil in einem anderen Saal des Hauses. Es kam nicht jeden Tag vor, dass ein Gesandter des Erzbischofs ihn besuchte. Sein Name war Bernardus von Wehlau, und er war die rechte Hand von Erzbischof Silvester Stodewescher, dem man nachsagte, in mehr als nur einer Hinsicht nach Höherem zu streben. Neben der geistlichen Führung wollte er auch die politische Macht in der Stadt â so wie er sie in den ausgedehnten geistlichen Territorien in Livland bereits besaÃ.
Silvester selbst musste sich natürlich bedeckt halten. Zwar waren in der Vergangenheit die Auseinandersetzungen zwischen dem Orden und dem rigaischen Erzbischof schon einmal so weit eskaliert, dass die Waffen gesprochen hatten, zurzeit konnte sich freilich aber keine der beiden Seiten einen Konflikt erlauben. Dazu war die Situation des Ordenslandes insgesamt zu fragil geworden. Und letztlich überwogen wohl auch die gemeinsamen Schutzinteressen.
Bernardus hingegen war keinerlei Zwängen zur Diplomatie
unterworfen. Er konnte einfach sagen, was er dachte, und kontaktieren, wen er wollte, und scherte sich dabei nicht um die Reaktionen, die das andernorts hervorrief.
»Riga â dieses Stück Bernstein am Strand der Düna«, murmelte Bernardus, der das Gewand eines einfachen Priesters trug. Er bekleidete offiziell gar kein hohes Amt in der Hierarchie der Erzbischofsresidenz, und doch wusste jeder, dass Silvester Stodewescher ihm sein Ohr schenkte, wann immer Bernardus dies wünschte. »Es gibt drei Mächte, die sich um dieses Kleinod streiten: der Orden, der Erzbischof und die Kaufleute.«
Heinrich Heusenbrink zwang sich zu einem Lächeln. Ein
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