Die Bernsteinhandlerin
allerdings auch auf den ersten kundigen Blick, dass es bereits bessere Zeiten gesehen hatte.
Thomas Bartelsen, ehemals Schreiber und Sekretär bei Jakob Isenbrandt zu Lübeck; anno 1450
Â
Â
Der aufkommende Wind kräuselte die Wasseroberfläche der Düna. Das Sonnenlicht lieà den Fluss wie ein bläulich glitzerndes Band erscheinen. Thomas Bartelsen aus Lübeck verlieà die Kogge mit dem Namen »Möwensteert« und war froh, wieder festen Boden unter den FüÃen zu haben.
»Passt auf!«, rief einer der Tagelöhner, die damit beschäftigt waren, das Schiff zu entladen. Bartelsen drehte sich herum und konnte dann gerade noch seinem eigenen Gepäck ausweichen, einem Leinensack, der an Land geworfen wurde. In dem Sack waren ein paar Kleidungsstücke â und die konnten eine solche Behandlung problemlos vertragen. Die wertvolleren, empfindlicheren Dinge hatte Bartelsen so in die Kleidung eingewickelt, dass sie nicht zu Schaden kommen konnten
â so hoffte er wenigstens, denn in Lübeck hatte er jahrelang mit angesehen, wie mit dem Gepäck umgegangen wurde. Sein Schreibzeug gehörte zu diesen wertvollen Utensilien. Ein Glasbehälter mit Tinte war dabei sowie ein Satz Bleistifte. Diese waren sehr teuer, wenngleich die Menge Blei, die in ihnen steckte, im Vergleich zu einer einzigen Kanonenkugel nur ein Nichts war.
Trotzdem hatte Thomas Bartelsen in der kurzen Zeit, in der er in der Kanzlei des Fürsten von Mecklenburg tätig gewesen war, immer wieder hören müssen, dass die Verwendung von Bleistiften Verschwendung an der Kasse des Fürstentums sei, da man im Grunde genommen auch mit Tinte und Gänsefedern schreiben könnte. Bartelsen hatte allerdings die Bleistifte gerade bei der Aufstellung komplizierter Rechnungen stets bevorzugt, da nachträglich Korrekturen möglich waren und auÃerdem auch ein sauberes, klareres Schriftbild auf Papier entstand. Nicht jedes Schriftstück war schlieÃlich ein Dokument, das fälschungsecht für die Ewigkeit aufbewahrt zu werden hatte.
Abgesehen von seinen Schreibutensilien führte Bartelsen auch einen gewissen Notvorrat an Papier mit sich. Er hasste es, von der Versorgung in der jeweiligen Gegend abhängig zu sein. Besonders in einem Land, das so dünn besiedelt war wie Livland, musste man damit rechnen, dass es zu wenig Lumpen gab, die zur Papierherstellung notwendig waren, um viele Papiermühlen speisen zu können. Die Folge war ein astronomisch hoher Preis pro Bogen, wie Bartelsen durch die lübischen Rigafahrer wusste.
Im Ãbrigen â wenn jemand wie er seine Dienste als Schreiber anbot, konnte er nicht unbedingt damit rechnen, dass sein Auftraggeber auch für genügend Schreibmaterial sorgte.
Im Haus Isenbrandt zu Lübeck hatte das jedenfalls immer zu seinen Aufgaben gehört.
Thomas Bartelsen hob den Sack auf den Rücken.
»He, wollt Ihr mit mir fahren?«, rief einer der Fuhrleute, die bei jedem ankommenden Schiff an den Kaimauern warteten, um entweder Waren oder Passagiere in die Stadt zu bringen.
»Ich fürchte, ich kann mir Eure Dienste nicht leisten!«, antwortete Bartelsen. »Und da ich ein Paar gesunder Beine habe, werde ich aus eigener Kraft meines Weges ziehen!«
»Euer Mantel ist aus feinem Tuch â da werdet Ihr meine Hilfe doch wohl bezahlen können!«
»Das täuscht!«, rief Bartelsen dem Fuhrmann zu. »Ich war in guter Stellung, bin aber kein reicher Mann!«
»Wovon soll unsereins seine Kinder ernähren, wenn schon die Reichen geizig werden?«, maulte der Fuhrmann und spuckte verächtlich auf den Boden.
Bartelsen sah zu, dass er weiterkam. Der Fuhrmann wurde ihm entschieden zu aufdringlich, aber das war in Lübeck nicht anders. Dass Thomas Bartelsen zwar recht vornehm gekleidet, deswegen aber trotzdem nicht reich war, konnte der Mann auf dem Kutschbock einfach nicht verstehen. Die Kleider, die er trug, hatten ihm nämlich die Isenbrandts zur Verfügung gestellt. Sie waren Teil seiner Entlohnung gewesen. Er selbst hätte sich Kleider dieser Qualität niemals leisten können.
Die Fasanenfedern an seinem Hut hatte der Wind während der Ãberfahrt so zerzaust, dass sie hässlich ausgesehen hatten, und so war Bartelsen nichts anderes übriggeblieben, als sie zu entfernen. Aber in die eher rustikale Umgebung Rigas hätte ein Hut mit Fasanenfedern vielleicht auch gar nicht so recht
Weitere Kostenlose Bücher