Die Bernsteinhandlerin
ich nur Eure Enttäuschung darüber abmildern, dass Ihr nicht von Eurem Verlobten am Hafen empfangen wurdet!«, verteidigte sich Bartelsen.
»Diese Enttäuschung war so offensichtlich?«
»Euer Gesicht war ein offenes Buch!«
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Keine fünfzig Schritte waren sie noch vom Eingang des Heusenbrinkâschen Hauses entfernt, als plötzlich etwas durch die Luft schoss. Mit einem röchelnden Laut sank Bram, einer der beiden Waffenknechte, zu Boden. Ein Armbrustbolzen war ihm in den Mund gefahren und lieà einen Schwall von Blut herausschieÃen. Er taumelte einen Schritt zurück, ehe ihn ein zweiter Bolzen in die Brust traf, durch ihn hindurchtrat und anschlieÃend im Gebälk der nächsten Hauswand stecken blieb. Bram sank zu Boden und blieb reglos liegen. Barbara
wirbelte herum. Der Schuss musste aus dem Schatten auf der anderen StraÃenseite abgegeben worden sein. Da Michael, der zweite Waffenknecht, eine Laterne in der Hand gehalten hatte und sie sich obendrein auch noch im Lichtkegel einer der wenigen Kerzenfackeln befanden, war es für den Schützen keine Schwierigkeit gewesen, sein Ziel zu treffen. Michael warf die Lampe zu Boden und hatte den Griff gerade am Rapier, als ihn ebenfalls ein Bolzen traf.
»Lauft!«, rief Bartelsen.
Doch von allen Seiten strömten schattenhafte Gestalten herbei, die allesamt bewaffnet waren. Barbara wurde gepackt, sie versuchte sich zu wehren. Von den Männern konnte sie kaum die Gesichter erkennen. Dann zog ihr jemand einen Sack über den Kopf. Ein Schrei gellte durch die Nacht, und sie glaubte Thomas Bartelsens Stimme zu erkennen.
Kräftige Hände fassten sie und schleiften sie mit sich. Raue Stimmen waren zu hören. Sie sprachen nur das Nötigste in Form knapper Anweisungen auf Platt.
Hufschlag und die Geräusche eines Gespanns drangen als Nächstes an ihre Ohren. Es quietschte nur äuÃerst wenig und war offenbar so gut geschmiert worden, wie es sich die meisten Leute nicht leisten konnten. Das Pech, mit dem man die Achsen einrieb, um sie leichtgängiger, schneller und vor allem auch weniger geräuschvoll zu machen, war nämlich ziemlich teuer.
Grob wurde sie hochgehoben. Sie strampelte und versuchte sich zu wehren, was allerdings nur die Wirkung hatte, dass sie hart auf den Boden fiel, erneut gepackt und dann auf den Kasten des Gespanns geworfen wurde. Sie begann zu schreien. Irgendjemand musste sie doch hören und ihr helfen! Vielleicht war gerade einer der Nachtwächter in der Nähe. Der Sack, den man ihr über den Kopf gezogen hatte, dämpfte ihre
Stimme stark ab, aber ihren Peinigern war das Risiko wohl dennoch zu groÃ. Mit einem harten Gegenstand bekam sie einen furchtbaren Schlag, und danach war ihr schwindelig. Alles drehte sich. Sie hatte das Gefühl, in einen tiefen, sehr finsteren Schlund zu fallen, der keinen Boden zu haben schien.
Sie hörte noch, wie der Kutscher die Peitsche knallen lieà und die Pferde antrieb, und sie spürte, wie der Wagen sich rumorend und immer schneller in Bewegung setzte. Dann schwanden ihr die Sinne.
NEUNZEHNTES KAPITEL
Spuren
Ich wusste, dass alles verloren war. Das Leben, die Ehre, der Glaube. Was geblieben war und mich Tag für Tag begleitete, war der Schmerz. Niemand, der nicht annähernd dasselbe durchlitten hat wie ich, sollte es wagen, über mich den Stab zu brechen.
Aus der Chronik der Komturei Memel, Verfasser unbekannt â Hermann von Schlichten zugeschrieben
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»Hermann von Schlichten! Zum letzten Mal: Ãffnet sofort die Tür! Ich habe die Vollmacht, Euch von Euren Pflichten als Komtur von Memel zu entbinden!«
Zusammen mit einer Schar von Ordensrittern stand Johannes von Werndorf vor der Tür, die zum Gemach des Komturs führte. Ein paar Burgmannen, sämtlich Halbkreuzler, hatten einen schweren Balken herbeigehievt, um ihn als Rammbock zu benutzen. Damit man ihn die Treppe im Palas der Memelburg hinauftragen konnte, war es zunächst nötig gewesen, den Balken zu kürzen, sodass über Stunden die Sägegeräusche zu hören gewesen waren.
Johannes von Werndorf hatte die Hand am Schwertgriff und sah zu seinem Mitbruder Svante Nybrad aus Lund hinüber, der ebenso angestrengt lauschte wie Johannes selbst.
Aber weder der Inspector des Hochmeisters noch der Ritterbruder aus Dänemark konnten etwas hören. So gab Johannes
das Zeichen, und die von innen verschlossene Tür
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