Die Bernsteinhandlerin
von der Hermann nicht ein einziges Wort verstand, denn er sprach nur plattes Düdesch und leidlich Latein.
Leider war nicht damit zu rechnen, dass ausgerechnet in dieser sternklaren Nacht ein Gewitter aufkäme und er auf diese Weise zusätzlich die Kräfte des hengstköpfigen Perkunas beschwören könnte, der dem Glauben der Kuren nach über Blitz und Donner gebot und sich in einem immerwährenden Kampf gegen einen üblen Schlangendämon befand. Darin wiederum konnte Hermann einige Parallelen zu den Erzählungen der Christen entdecken. War die Schlange nicht das Zeichen Satans? Und hatten die ursprünglichen Bewohner Kurlands vielleicht in grauer Vergangenheit, und ohne die Gnade des Christentums zu kennen, ihre eigenen Methoden entwickelt, um den universellen Mächten der Finsternis zu begegnen?
Demzufolge konnte es eigentlich auch im christlichen Sinn keine Sünde sein, diese Praktiken anzuwenden, wenn sie ebenso dem Guten dienten wie etwa ein Exorzismus oder die Vernichtung von Hexen und Ketzern.
Mithilfe dieser Ãberlegungen erleichterte Hermann von Schlichten jedenfalls sein schwer geprüftes Gewissen.
Dann hörte er Schritte vor der Tür. Dieses Geräusch riss ihn augenblicklich aus seinen düsteren Gedanken. Es klopfte.
»Wer ist da?«, fragte der Komtur etwas unwirsch, denn es war nicht üblich, dass ihn zu dieser späten Stunde noch jemand aufsuchen wollte.
»Es ist dringend, Commendator!«, hörte man von der anderen Seite eine dumpfe Stimme. »Ich bin gekommen, zu fordern, was die Pflicht verlangt.«
Das Gesicht des Komturs erstarrte. Er musste schlucken, und trotz der von drauÃen hereindringenden frischen Luft hatte er auf einmal das Gefühl, kaum noch atmen zu können. Mühsam unterdrückte er ein Husten, schmeckte den salzigen Geschmack des Blutes in seinem Mund und wankte zur Tür, die mit einem Riegel verschlossen war.
Er öffnete mit groÃer Anstrengung die knarrende Tür. Im Korridor stand eine in einen Mantel gehüllte Gestalt. Die Kapuze hatte sie tief ins Gesicht gezogen, und darunter war nichts als Finsternis zu sehen.
»Wir brauchen Eure Hilfe, Komtur!«, sagte die dumpf klingende Stimme. Der Finstere streckte die Hand aus, in der ein Amulett lag.
Hermann von Schlichten nahm es an sich. »Kommt herein«, murmelte er. »Und schlieÃt die Tür hinter Euch. Mir schmerzen die Arme, und ich bin inzwischen schon so kraftlos, dass es mir bereits Mühe macht, den Riegel an seinen Ort zu schieben.« AnschlieÃend drehte sich Hermann langsam um. Mit dem Amulett in der Hand schleppte er sich in den Raum und lieà sich ermattet auf dem Stuhl nieder. Das Amulett legte er auf den Tisch, sodass es vom flackernden Schein der letzten noch brennenden Fackel erhellt wurde. Drei schwarze Kreuze in einem ebenfalls schwarzen Ring waren zu sehen â und die Flächen dazwischen schimmerten golden.
Hermann von Schlichten war nicht der Einzige, der in dieser Nacht keine Ruhe zu finden vermochte. Auch Arnulf von Brindig war zu sehr später Stunde noch auf den Beinen. Er hatte sich den weiÃen Kreuzmantel eng um die Schultern gezogen, als er über den inneren Burghof ging, um zur Kapelle zu gelangen.
Dort brannte noch Licht. Es schimmerte durch die farbigen Glasfenster hindurch, die verschiedene biblische Motive darstellten. Es waren die einzigen verglasten Fenster auf der Memelburg.
Als Arnulf durch die Tür in das Kirchenschiff trat, sah er vor dem Altar einen Mann im Ornat eines Geistlichen knien. Er erkannte in ihm Rupertus, den Burgkaplan, einen der sogenannten Priesterbrüder des Ordens. Arnulf hatte als Ritterbruder zwar die lebenslangen Profess-Gelübde abgelegt, war aber nicht zum Priester geweiht worden und hatte darum den Status eines Laien.
Rupertus war etwa im selben Alter wie Arnulf und hatte seine Ausbildung auf einem der ordenseigenen Priesterseminare genossen. Er stammte aus sehr einfachen Verhältnissen, in seinen Adern floss nicht ein einziger Tropfen Adelsblut. Weil seine Eltern früh an der Pest gestorben waren, wurde er daraufhin in einem vom Orden betriebenen Waisenhaus in der brandenburgischen Neumark aufgezogen.
Mit ernstem, angestrengt wirkendem Gesicht murmelte Rupertus unablässig vor sich hin. Was genau er betete, vermochte Arnulf nicht zu verstehen, was gleichwohl auch daran lag, dass der Ritterbruder im Gebrauch der lateinischen Sprache nicht sicher
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