Die Berufung
immer geschätzt.
Warum sollten sie sich zur Abwechslung nicht einmal etwas gönnen und mit den Stars ihres Berufsstandes essen?
Stattdessen betraten sie zwei Türen weiter einen kleinen Deli und bestellten Eistee. Appetit hatte keiner von beiden. Schließlich sprach Wes das Offensichtliche aus. »Haben wir gerade einhundertachtzigtausend Dollar verdient?«
»Mhm«, erwiderte Mary Grace, während sie am Strohhalm ihres Eistees zog.
»Dann hatte ich also recht.«
»Ein Drittel geht für die Steuern drauf.«
»Willst du mir die Laune verderben?«
»Nein. Ich bin nur realistisch.«
Mary Grace schrieb die Zahl Einhundertachtzigtausend auf eine weiße Papierserviette.
»Geben wir das Geld schon aus?«, fragte Wes.
»Nein, wir teilen es nur auf. Sechzigtausend für Steuern?«
»Fünfzig.«
»Einkommensteuer, Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung, und was weiß ich noch alles. Das ist mindestens ein Drittel.«
»Fünfundfünfzig«, schlug er vor.
Sie schrieb Sechzigtausend auf. »Ein Bonus?«
»Wie wäre es mit einem neuen Auto?«, fragte er.
»Nein. Ein Bonus, für alle fünf Mitarbeiter. Sie haben seit drei Jahren keine Gehaltserhöhung bekommen.«
»Fünftausend für jeden.«
Mary Grace schrieb Fünfundzwanzigtausend auf und sagte dann: »Die Bank.«
»Ein neues Auto.«
»Die Bank. Die Hälfte des Honorars ist schon weg.«
»Zweihundert Dollar.«
»Wes, wie kannst du nur? Wir werden das Leben erst wieder genießen können, wenn uns die Bank nicht mehr im Nacken sitzt.«
»Den Kredit habe ich verdrängt.«
»Wie viel?«
»Ich weiß nicht. Du hast dich sicher schon für einen Betrag entschieden.«
»Fünfzigtausend für Huffy und zehntausend für Sheila McCarthy. Dann bleiben uns noch fünfunddreißigtausend.« Was ihnen in diesem Moment wie ein Vermögen vorkam. Sie starrten auf die Serviette und spielten in Gedanken mit wechselnden Zahlen und Prioritäten herum, doch keiner der beiden wollte eine Änderung vorschlagen. Schließlich unterschrieb Mary Grace ganz unten auf der Serviette, und Wes tat es ihr gleich. Dann steckte sie die Serviette in ihre Handtasche.
»Können wir nicht wenigstens einen neuen Anzug für mich kaufen?«, fragte er.
»Das hängt davon ab, ob gerade welche im Sonderangebot sind. Ich glaube, wir sollten in der Kanzlei anrufen.«
»Sie sitzen sicher schon vor dem Telefon.«
Drei Stunden später, als die Paytons ihre Kanzlei betraten, begann die Party. Die Tür wurde verriegelt, die Telefone wurden vom Netz genommen, dann floss der Champagner. Sherman und Rusty, die beiden juristischen Hilfskräfte, brachten einen improvisierten Trinkspruch nach dem anderen aus. Tabby und Vicky, die Sekretärinnen, waren schon nach zwei Gläsern kräftig beschwipst. Selbst ihre Buchhalterin Olivia feierte ordentlich mit und fand irgendwann alles und jeden zum Lachen.
Das Geld war inzwischen dreimal ausgegeben, und alle waren reich.
Als kein Champagner mehr da war, schlössen sie die Kanzlei ab und gingen nach Hause. Die Paytons fuhren mit vom Alkohol geröteten Wangen zu ihrer Wohnung, wo sie sich umzogen. Dann ging es weiter zur Schule, wo sie Mack und Liza abholen wollten. Sie hatten sich einen lustigen Abend verdient, obwohl die Kinder noch zu jung waren, um den Vergleich zu verstehen. Wes und Mary Grace wollten ihnen nichts davon erzählen.
Mack und Liza hatten Ramona erwartet, und als sie vor der Schule ihre Eltern entdeckten, wurde ein langer Tag auf einen Schlag besser. Wes erklärte ihnen, dass sie keine Lust mehr zum Arbeiten hätten und lieber spielen wollten. Zuerst hielten sie an einem Baskin-Robbins, wo jeder ein Eis bekam. Als Nächstes ging es zu einem Einkaufszentrum, wo sie in einem Schuhgeschäft hängen blieben. Jedes Mitglied der Familie Payton suchte sich ein Paar Schuhe aus, auf die es gerade fünfzig Prozent Rabatt gab. Mack erwies sich mit einem Paar Kampfstiefel als der Modemutigste. Mitten im Einkaufszentrum war ein Kino mit vier Sälen. Sie kamen gerade noch rechtzeitig zur Sechs-Uhr-Vorstellung des neuen Harry-Potter-Films. Zum Abendessen ging es in eine auf Familien ausgerichtete Pizzeria mit einem Indoor-Spielplatz und hohem Lärmfaktor. Gegen zehn Uhr waren sie wieder zu Hause, wo Ramona vor dem Fernseher saß und die Ruhe genoss. Die Kinder drückten ihr einen Karton mit übrig gebliebener Pizza in die Hand und fingen sofort an, von dem Film zu erzählen. Sie versprachen hoch und heilig, ihre Hausaufgaben am nächsten Morgen zu machen. Mary Grace
Weitere Kostenlose Bücher