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Die Berufung

Titel: Die Berufung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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etwas zu schreiben, aber er hielt sich wohlweislich zurück. Er wollte nichts überstürzen.
    Den ersten Vorgeschmack auf den neuen Gerichtshof der Post-McCarthy-Ära erhielt das Volk von Mississippi Ende Januar. Dabei ging es um eine achtzigjährige Alzheimerpatientin, die ihr Sohn in ihrem Pflegeheim nackt und völlig verdreckt unter dem Bett gefunden hatte. Der Sohn war empört und verklagte das Pflegeheim schließlich in ihrem Namen. Obwohl es unterschiedliche Aussagen gab und die Unterlagen unvollständig waren, ergab sich aus den Zeugenaussagen bei der Verhandlung, dass seit mindestens sechs Stunden niemand mehr nach der Frau gesehen hatte. Die letzte Mahlzeit lag mindestens neun Stunden zurück. Das Heim gehörte einer Firma in Florida, die eine Reihe einfach ausgestatteter Einrichtungen besaß, und konnte auf eine lange, traurige Geschichte von Verstößen gegen Sicherheits- und Hygienevorschriften zurückblicken. Die Geschworenen im ländlichen Covington County erkannten auf einen Schadenersatz in Höhe von zweihundertfünfzigtausend Dollar, obwohl sich das Ausmaß der körperlichen Schäden nur schwer beziffern ließ. Die Frau hatte blaue Flecken auf der Stirn gehabt, aber den Verstand hatte sie bereits zehn Jahre zuvor verloren. Interessant an diesem Fall war der Strafschadenersatz in Höhe von zwei Millionen Dollar, für Covington County ein Rekord.
    Der Fall war Richter Calligan übertragen worden. Er fand drei Richter, die mit ihm stimmen würden, und verfasste eine Stellungnahme, in der er sich dafür aussprach, das Urteil über die zweihundertfünfzigtausend Dollar aufzuheben und an die untere Instanz zurückzuverweisen. Seines Erachtens waren die Schäden nicht hinreichend nachgewiesen. Was den Strafschadenersatz anging, so war dieser »mit dem Gewissen des Gerichts unvereinbar«. Das Urteil wurde in diesem Punkt aufgehoben und ein für alle Mal verworfen. Richter McElwayne schrieb eine Stellungnahme, der zufolge das Urteil in vollem Umfang zu bestätigen war. Er schilderte die trostlose Geschichte des Heims in allen Einzelheiten: zu wenig und schlecht ausgebildetes Personal, verdreckte Räume, schmutzige Bettwäsche und Handtücher, verdorbenes Essen, unzureichende Klimatisierung, überbelegte Zimmer und so fort. Da sich drei weitere Richter seiner Meinung anschlössen, gab es unter den langjährigen Kollegen ein Patt. Zünglein an der Waage würde der neue Mann sein.
    Richter Fisk zögerte nicht. Er fand die medizinischen Beweise ebenfalls unzureichend und zeigte sich schockiert über die Höhe des Strafschadenersatzes. Als Versicherungsanwalt hatte er vierzehn Jahre lang dafür gekämpft, die horrenden Schadenersatzforderungen abzuwehren, mit denen die Anwälte der Kläger so leichtfertig um sich warfen. In mindestens der Hälfte der Verfahren, in denen er als Verteidiger aufgetreten war, waren völlig aus der Luft gegriffene Anträge auf absurd hohe Beträge wegen des »empörenden und grob fahrlässigen Verhaltens« der Beklagten gestellt worden.
    Das Gericht steckte mit einer Entscheidung von fünf zu vier Stimmen seinen neuen Kurs ab und verwies die Sache ins Covington County zurück, wo der Kläger nun schlechte Karten hatte.
    Der Sohn der alten Dame war ein sechsundfünfzigjähriger Rinderzüchter und Diakon einer ländlichen Kirche ein paar Meilen außerhalb des Städtchens Mount Olive. Er und seine Frau hatten sich sehr für Ron Fisk eingesetzt, den sie als gottesfürchtigen Menschen sahen, der ihre Werte teilte und ihre Enkelkinder schützen würde.
    Warum entschied dieser Mr Fisk nun zugunsten einer gesetzlosen Firma, die noch nicht einmal aus Mississippi war?
    Jeder Fall, der zur Prüfung durch den Supreme Court zugelassen wird, wird von der Geschäftsstelle einem der neun Richter zugewiesen, die auf dieses Verfahren keinen Einfluss haben. Alle wissen, dass jeder neunte Fall auf ihrem Schreibtisch landen wird. Jeweils drei Richter arbeiten sechs Wochen lang zusammen, dann werden die kleinen Gruppen neu gemischt.
    In fast allen am Supreme Court anhängigen Verfahren beantragen die Anwälte eine Anhörung, die aber nur selten gewährt wird. In weniger als fünf Prozent der Berufungsverfahren lassen die Richter mündliche Ausführungen der Anwälte zu.
    Aufgrund der Bedeutung des Urteils in der Sache Baker ge gen Krane Chemical wurde den Anwälten eine Anhörung durch das dreiköpfige Richtergremium gewährt. Am 7. Februar erschienen daher Jared Kurtin und Co sowie die gesamte Kanzlei

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