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Die Berufung

Titel: Die Berufung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Jahres, den er fast ausschließlich dem rechtzeitigen Abstoßen seiner Krane-Chemical-Anteile zu verdanken hatte. Pete Flint rühmte sich, an Krane eine halbe Milliarde verdient zu haben, nur dank seiner hellsichtigen Vorhersage, dass der Prozess böse ausgehen werde. Carl Trudeau wurde nicht erwähnt. Das war auch nicht nötig. Jeder wusste, dass er eine Milliarde verloren hatte. Und jetzt verbreitete Flint, er habe sich die Hälfte davon unter den Nagel gerissen. Die Demütigung war mehr als unerträglich.
    Aber Mr Flint wusste nichts von Mr Fisk. Und wenn er zum ersten Mal von ihm hörte, würde es längst zu spät sein, und Carl Trudeau hätte sein Geld zurück. Und dazu noch eine Menge mehr.
15
    Der Verband der Prozessanwälte von Mississippi, der Mississippi Trial Advocates, traf sich einmal jährlich im Februar in Jackson zur Wintertagung. Von einem Wahlkampf für die Richterwahlen im November war bislang nichts zu spüren. Normalerweise nahm die Tagung ein Wochenende in Anspruch, mit Vorträgen, Seminaren, politischen Lageberichten und Ähnlichem. Da die Paytons zurzeit den heißesten Fall im Staate hatten, wollten die Kollegen sie natürlich unbedingt hören. Mary Grace hatte gleich abgewinkt. Sie war zwar aktives Mitglied des MTA, aber das war nicht ihr Terrain. Die Versammlungen waren meist verbunden mit stundenlangen Plauderrunden, wo man, Cocktails schlürfend, alte und neue Heldengeschichten aus dem Gerichtssaal austauschte. Frauen waren nicht explizit ausgeschlossen, aber sie passten einfach nicht in das Szenario. Und irgendjemand musste auch bei Mack und Liza bleiben.
    Wes hatte sich schließlich bereit erklärt zu fahren, wenn auch widerstrebend. Er war ebenfalls aktives Verbandsmitglied, fand aber die Wintertagungen in der Regel langweilig. Die Sommerveranstaltungen, die am Strand stattfanden, waren netter und familienorientierter. Schon zweimal hatten die Paytons mit Kind und Kegel daran teilgenommen.
    Am Samstagmorgen fuhr Wes nach Jackson zum Veranstaltungsort, einem Hotel in der Innenstadt. Er parkte ein paar Straßen weiter, damit die Kollegen nicht sahen, mit welcher Art fahrbarem Untersatz er neuerdings unterwegs war. Markenzeichen seiner Zunft waren chromblitzende Boliden und ähnliches Technikspielzeug, und Wes schämte sich für den klapprigen Ford Taurus, der die Fahrt von Hattiesburg hierher nur knapp überlebt hatte. Er würde nicht über Nacht bleiben, weil er sich die einhundert Dollar für das Zimmer nicht leisten konnte. Man hätte annehmen können, er wäre Millionär. Doch auch drei Monate nach der Urteilsverkündung musste er jeden Cent dreimal umdrehen. Das Geld aus dem Bowmore-Prozess war nach wie vor nicht mehr als ein ferner Traum. Und trotz des Urteils zweifelte er heute noch an seinem Verstand, dass er sich damals auf das Mandat eingelassen hatte.
    Das Mittagessen fand im großen Ballsaal des Hotels statt. Gedeckt war für zweihundert Gäste, eine eindrucksvolle Menge. Während man plaudernd auf den offiziellen Beginn der Veranstaltung wartete, beobachtete Wes von seinem Platz auf dem Podium aus die Teilnehmer.
    Prozessanwälte unter sich, das war immer eine bunte, äußerst heterogene Mischung. Da gab es Cowboys, Ganoven, Radikale, Langhaarige, Anzugträger, schillernde Individualisten, Biker, Diakone, waschechte Südstaatler, Überlebenskünstler, Vertretertypen und Gesichter, die jedermann von Werbetafeln, aus den Gelben Seiten und dem Morgenfernsehen kannte. Sie waren alles andere als langweilig. Wie eine temperamentvolle Großfamilie konnten sie sich streiten bis aufs Blut, aber sobald es gegen einen gemeinsamen Feind ging, waren sie ein Herz und eine Seele. Sie kamen teils aus größeren Städten, wo sie um Fälle und Mandanten kämpfen mussten, teils aus Kleinstädten, wo ihr beruflicher Alltag viel mit einfachen Geschworenen zu tun hatte, die schon aus Prinzip dagegen waren, irgendjemandem überhaupt Geld abzunehmen. Manche besaßen Privatjets, mit denen sie von Küste zu Küste rauschten, um immer wieder neue Sammelklagen für neue Modellprozesse zu konstruieren. Wieder andere fanden diese Praktiken abstoßend und versuchten, nach alter Väter Sitte sauber einen Fall nach dem anderen abzuarbeiten. Manche jungen Kollegen waren Unternehmer, die am Fließband Klagen einreichten und Vergleiche schlössen, ohne jemals eine Geschworenenbank zu Gesicht zu bekommen. Andere brauchten den Nervenkitzel vor Gericht. Einige wenige waren in Kanzleien tätig, in denen

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