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Die Berufung

Titel: Die Berufung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Winkel zurück, in dem sie niemand belauschen konnte.
    »Ich habe ein beunruhigendes Gerücht aufgeschnappt«, sagte sie und ließ, an ihrem Gin nippend, ihre Augen über die Menge wandern. Barbara Mellinger war zwanzig Jahre auf den Fluren des Regierungsgebäudes zu Hause gewesen und kannte das Terrain besser als jeder andere. Und sie hatte ein gutes Gespür für den Wahrheitsgehalt von Tratschgeschichten. Sie bekam mehr mit als jeder andere. Doch wenn sie ein Gerücht weitergab, dann war es meist keines.
    »Man hat es auf McCarthy abgesehen«, sagte sie.
    »Man?« Wes, der neben ihr stand, beobachtete ebenfalls die versammelte Menge.
    »Die üblichen Verdächtigen - der Commerce Council und diese Bande von Verbrechern.«
    »Die können McCarthy nie und nimmer schlagen.«
    »Aber sie können es zumindest versuchen.«
    »Weiß sie schon davon?« Wes hatte das Interesse an seiner Cola light verloren.
    »Ich glaube nicht. Niemand weiß davon.«
    »Haben sie denn einen Kandidaten?«
    »Wenn ja, weiß ich nicht, wer es ist. Aber die haben eine gute Nase für die geeigneten Leute.«
    Was sollte er darauf sagen oder tun? Die einzige Antwort wäre ein dickes Wahlkampfkonto, und dazu konnte er nicht einen einzigen Cent beitragen.
    »Wissen die Kollegen davon?«, fragte er und nickte in Richtung der Tagungsteilnehmer, die, in Gespräche vertieft, grüppchenweise zusammenstanden.
    »Noch nicht. Wir sollten die Sache erst einmal für uns behalten. McCarthy hat wie immer kein Geld auf der Bank. Die Damen und Herren Robenträger meinen immer, sie wären unbesiegbar, stünden über allem, politisch und so, und wenn dann doch ein Herausforderer auftaucht, fallen sie aus allen Wolken.«
    »Haben Sie einen Plan?«
    »Nein. Abwarten, was passiert. Und beten, dass es nur ein Gerücht ist. Vor zwei Jahren im McElwayne-Wahlkampf haben sie bis zur letzten Minute gewartet, bis sie die Kandidatur verkündeten, und da hatten sie schon über eine Million auf dem Konto.«
    »Aber wir haben die Wahl gewonnen.«
    »Das stimmt. Aber erzählen Sie mir nicht, dass Sie nicht die nackte Panik ergriffen hat.«
    »Kann man so sagen.«
    Ein Althippie mit Pferdeschwanz kam auf ihn zugeschlingert. »Denen da unten«, dröhnte er, »habt ihr ganz schön in den Hintern getreten.« Die Einleitung deutete daraufhin, dass er mit Sicherheit die nächste halbe Stunde von Wes' Zeit in Anspruch zu nehmen gedachte. Barbara Mellinger trat unauffällig den Rückzug an. »Fortsetzung folgt«, flüsterte sie.
    Auf dem Heimweg ließ Wes noch ein paar Meilen lang genüsslich den Tag Revue passieren, bis ihn düstere Gedanken über das Gerücht ereilten. Er besprach mit Mary Grace stets alles, und so verließen sie nach dem Essen die Wohnung, um einen ausführlichen Abendspaziergang zu machen. Ramona und die Kinder sahen sich unterdessen einen alten Film an.
    Wie alle guten Anwälte hatten sie den Supreme Court stets aufmerksam beobachtet. Sie hatten jede Stellungnahme der obersten Richter gelesen und diskutiert - von Beginn ihrer Partnerschaft an bis heute, aus tiefster Überzeugung. Früher hatte sich die Besetzung des Tribunals selten geändert. Freie Posten entstanden nur durch Todesfälle, und die Übergangskandidaten blieben meist dauerhaft. Über viele Jahre hatten die Gouverneure stets geeignete Nachfolger ausgewählt, und das Gericht hatte hohes Ansehen genossen. Lärmende Kampagnen gab es nicht. Das Gericht war stolz darauf, in seinem Tagesgeschäft und seiner Entscheidungslinie von der Politik unabhängig zu sein. Aber diese seligen Zeiten waren vorbei.
    »Wir haben sie mit McElwayne doch auch geschlagen«, insistierte Mary Grace zum wiederholten Mal.
    »Mit einer Mehrheit von dreitausend Stimmen.«
    »Gewonnen ist gewonnen.«
    Zwei Jahre zuvor, als Richter Jimmy McElwayne sich aus dem Nichts heraus heftigem Gegenwind ausgesetzt sah, hatten sich die Paytons schon so für das Bowmore-Verfahren verausgabt, dass sie finanziell nichts zum Wahlkampf beitragen konnten. Dafür hatten sie die wenige Freizeit, die ihnen geblieben war, in ein lokales Wahlkampfkomitee investiert. Am Tag des Urnengangs hatten sie sich sogar als Wahlhelfer einteilen lassen.
    »Wir haben den Prozess gewonnen, Wes, und wir werden auch die Berufung nicht verlieren«, sagte sie.
    »Wenn du meinst.«
    »Ist wahrscheinlich nur ein Gerücht.«
    Am folgenden Montag stahlen sich Ron und Doreen Fisk gegen Abend aus Brookhaven weg nach Jackson, um sich mit Tony Zachary zu treffen. Es war vereinbart

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