Die Beschenkte
seine Hände und drehte die Ringe an seinen Fingern.
»Mein Gleichgewicht werde ich nicht so schnell wiederfinden, glaube ich«, sagte er, und ein seltsamer Ton in seiner Stimme schreckte sie auf.
»Was soll das heißen?«
»Darum geht es nicht, Katsa. Selbst wenn ich morgen völlig gesund aufwachen würde, müsstest du mich zurücklassen. Wir haben nur ein Pferd. Wenn du mit Bitterblue nicht schnell genug davonreitest, werdet ihr eingeholt.«
»Ich werde dich nicht zurücklassen.«
»Katsa! Es geht nicht um mich. Es geht um Bitterblue.«
Plötzlich musste sie sich setzen, die Kraft war aus ihren Beinen gewichen. Denn es ging um Bitterblue. Sie waren wegen Bitterblue den ganzen Weg hierhergekommen, und sie war Bitterblues einzige Hoffnung. Sie schluckte. Sie machte ein ausdrucksloses Gesicht, denn das Kind durfte nicht merken, wie weh es ihr tat, Bitterblues Sicherheit über die von Bo zu stellen.
Und dann wusste sie plötzlich, dass sie weinen würde. Sie atmete gleichmäßig weiter und schaute Bo nicht an. »Ich denke, ich sollte ein paar Stunden schlafen«, sagte sie.
»Ja«, antwortete er. »Schlaf ein bisschen, Liebste.«
Sie wünschte, seine Stimme wäre nicht so weich und gütig. Sie wickelte sich in eine Decke und legte sich mit dem Rücken zu ihm neben das Feuer, dann befahl sie sich zu schlafen. Eine Träne rann über ihre Nase und hinunter in ein Ohr, doch sie wiederholte den Befehl.
Sie schlief.
Als sie erwachte, schlief Bitterblue auf dem Boden neben ihr. Bo saß auf einem Stein vor dem prasselnden Feuer und schaute in seine Hände. Katsa stand auf und setzte sich neben ihn. Das Fleisch war gebraten und sie aß es dankbar, denn wenn sie aß, musste sie nicht reden, und wenn sie redete, würde sie weinen.
»Wir könnten uns ein zweites Pferd besorgen«, brachte sie schließlich heraus. Sie starrte ins Feuer und versuchte nicht in die Lichter zu schauen, die in seinem Gesicht schimmerten.
»Hier, am Fuß der Berge, Katsa?«
Nun gut. Es gab kein zweites Pferd. »Selbst wenn es möglich wäre«, sagte er, »würde es eine Ewigkeit dauern, bevor ich schnell genug reiten könnte. Die Schmerzen in meinem Kopf hören nicht auf, solange ich auf einem Pferd herumgeschüttelt werde. Auch für mich ist es am besten, Katsa, wenn du mich zurücklässt. Dann werde ich schneller wieder gesund.«
»Und wie willst du dich verteidigen? Was wirst du essen?«
»Ich verstecke mich irgendwo. Wir suchen morgen in allerFrühe eine Stelle, wo ich mich verstecken kann. Komm, Katsa, du weißt, dass ich mich besser verstecken kann als jeder andere.« Sie hörte ein Lächeln aus seiner Stimme heraus. »Komm, meine Wildkatze. Komm her.«
Sie konnte nichts mehr gegen ihre Tränen tun. Denn sie würden Bo zurücklassen, und er musste sich allein durchschlagen und sein Leben retten, indem er sich versteckte, obwohl er noch nicht einmal gehen konnte. Sie kniete sich vor ihn und er nahm sie in die Beuge seines unverletzten Arms. Sie weinte an seiner Schulter wie ein Kind und schämte sich, weil es nur ein Abschied war, und Bitterblue hatte noch nicht einmal über einen Tod so geweint. »Schäme dich nicht«, flüsterte Bo, »deine Trauer bedeutet mir viel. Hab keine Angst, ich werde nicht sterben, Katsa. Ich werde nicht sterben, und wir werden uns wiedersehen.«
Als Bitterblue erwachte, packte Katsa bereits ihre Sachen zusammen. Das Mädchen schaute ihr einen Moment ins Gesicht.
Dann sah sie zu Bo hinüber, der ins Feuer starrte.
»Wir lassen dich also zurück«, sagte sie zu Bo.
Er schaute zu dem Kind auf und nickte.
»Hier?«
»Nein, Cousine. Wenn der Morgen kommt, suchen wir ein Versteck.«
Bitterblue stieß ihre Fußspitze in den Boden. Sie verschränkte die Arme und betrachtete Bo. »Was wirst du in deinem Versteck tun?«
»Ich werde mich verbergen und Kraft sammeln.«
»Und wenn du wieder gesund bist?«
»Dann komme ich zu euch nach Lienid oder wo immer ihr sonst seid, und wir planen die Ermordung von König Leck.«
Das Mädchen betrachtete Bo nachdenklich. Dann nickte sie. »Wir werden auf dich warten, Cousin.«
Katsa schaute auf und sah ein schwaches Lächeln über die Worte des Kindes auf Bos Gesicht. Dann wandte Bitterblue sich ab und half Katsa mit den Arzneien.
Die Zähne des Mädchens klapperten, als sie sich neben Katsa kniete. Sie hatte keine Jacke, und die Decke, in die sie sich unterwegs wickelte, war dünn. Sie brachte die Päckchen zum Pferd, versorgte Bo mit Wasser und schauderte.
Warum
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