Die Beschenkte
einen ebenbürtigen Gegner gefunden, Großvater.«
»Mehr als ebenbürtig, scheint mir. Kommen Sie her, Kind«, sagte Tealiff zu Katsa. »Kommen Sie ans Licht.«
Katsa kam an die andere Seite des Betts und kniete daneben nieder. Tealiff wandte sich ihr zu, und plötzlich wurde ihr bewusst, wie schmutzig und blutig ihr Gesicht war, wie wirr ihr Haar. Wie schrecklich musste sie diesem alten Mann vorkommen!
»Meine Liebe«, sagte er, »ich glaube, Sie haben mir das Leben gerettet.«
»Prinz Tealiff«, antwortete Katsa, »wenn das jemandem gelungen ist, dann meinem Cousin Raffin mit seinen Heilmitteln.«
»Ja, Raffin ist ein guter Junge.« Er tätschelte ihre Hand. »Aber ich weiß, was Sie getan haben, Sie und die anderen. Sie haben mir das Leben gerettet, obwohl ich nicht weiß, warum. Ich bezweifle, dass irgendein Lienid Ihnen jemals etwas Gutes getan hat.«
»Ich habe zuvor nie einen Lienid getroffen«, sagte Katsa. »Aber Sie scheinen sehr gütig zu sein.«
Tealiff schloss die Augen. Er schien in seine Kissen zu sinken. Sein Atem war ein langgezogener Seufzer.
»So schläft er immer ein«, sagte Raffin von der Tür. »Mitder Ruhe wird seine Kraft zurückkommen.« Er trug etwas, das in ein Tuch gewickelt war, und reichte es Bo. »Eis. Halten Sie es ans Auge. Anscheinend hat sie Ihnen auch die Lippe aufgerissen. Wo tut es sonst noch weh?«
»Überall«, sagte Bo. »Es fühlt sich an, als hätte mich ein Pferdegespann niedergetrampelt.«
»Ehrlich, Katsa!«, sagte Raffin. »Hast du versucht, ihn umzubringen?«
»Wenn ich das versucht hätte, wäre er tot«, sagte Katsa, und Bo lachte wieder. »Wenn es so schlimm wäre, würde er nicht lachen«, fügte sie hinzu.
So schlimm war es nicht, wenigstens konnte Raffin versichern, dass keiner von Bos Knochen gebrochen war und dass er keine Prellungen oder Schwellungen hatte, die nicht heilen würden. Dann wandte sich Raffin Katsa zu. Er untersuchte die Schramme, die sich über ihr Kinn zog, und wischte ihr Schmutz und Blut vom Gesicht.
»Er ist nicht sehr tief, dieser Kratzer«, sagte er. »Sonst noch Schmerzen?«
»Nein. Ich spüre noch nicht einmal den Kratzer.«
»Ich glaube, dieses Kleid musst du ausrangieren«, sagte er. »Helda wird schrecklich mit dir schimpfen.«
»Ja, über das Kleid bin ich untröstlich.«
Raffin lächelte. Er packte ihre Arme und hielt sie vor sich, damit er sie von oben bis unten mustern konnte. Dann lachte er.
»Was kann denn so komisch sein«, fragte Katsa, »für einen Prinzen mit blauen Haaren?«
»Du siehst aus, als wärst du in einen Kampf geraten, und das zum ersten Mal in deinem Leben.«
Katsa hatte fünf Räume: ihr Schlafzimmer mit den dunklen Stoffbehängen an Fenstern und Wänden, die Helda ausgesucht hatte, weil Katsa es ablehnte, sich eine Meinung über solche Dinge zu bilden; ihr Bad, weißer Marmor, groß und kalt, funktional; ihr Wohnzimmer mit Fenstern zum Schlosshof und einem kleinen Tisch, an dem sie aß, manchmal mit Raffin oder Helda oder Giddon, wenn er sie nicht zu sehr störte; und ihren Salon voll weicher Sessel und Kissen, die wiederum Helda ausgesucht hatte. Den Salon benutzte Katsa nicht.
Der fünfte Raum war einmal ihr Arbeitszimmer gewesen, aber sie erinnerte sich nicht, wann sie das letzte Mal gestickt oder gehäkelt oder einen Strumpf gestopft hatte. Sie konnte sich noch nicht einmal erinnern, wann sie zum letzten Mal einen Strumpf getragen hatte. Sie hatte den Raum in ein Lager für ihre Waffen verwandelt – Schwerter, Degen, Messer, Bogen und Stangen säumten die Wände. Außerdem hatte sie einen großen quadratischen Tisch hineingestellt, und jetzt wurden die Sitzungen des Rats hier abgehalten.
Katsa badete zum zweiten Mal an diesem Tag und verknotete das nasse Haar auf dem Hinterkopf. Sie fütterte das Feuer im Schlafzimmer mit ihrem Kleid und beobachtete mit großer Befriedigung seine rauchende Vernichtung. Ein Junge kam, der während des Ratstreffens Wache halten sollte. Katsa ging in den Waffenraum und zündete die Fackeln an, die zwischen ihren Messern und Bogen an den Wänden hingen.
Raffin und Bo kamen als Erste. Bos Haar war feucht, auch er hatte gebadet. Die Haut rund ums Auge war blau geworden und machte seinen Blick noch frecher und irritierender als zuvor. Mit den Händen in den Taschen lehnte er sich an den Tisch, schaute sich um und betrachtete ihre Waffensammlung. Er trug ein neues Hemd mit offenem Kragen und bis zu den Ellbogen hochgerollten Ärmeln. Seine Unterarme waren
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