Die Beschenkte
nicht selbst gestohlen hatte.«
»Ah. Von Ihnen gestohlen?«
»Ja, von mir beziehungsweise von einem Freund.«
»Wirklich?« Er verschränkte die Arme wieder und zog im Fackellicht eine Augenbraue hoch. »Ich frage mich, ob dieser Freund überrascht wäre, wenn er sich so bezeichnet wüsste.«
»Warum sollte er überrascht sein? Warum sollte er sich für einen Feind halten?«
»Aber das ist es ja«, sagte er. »Ich dachte, die Middluns hätten weder Freunde noch Feinde. Ich dachte, König Randa würde sich aus diesen Dingen heraushalten.«
»Ich fürchte, Sie irren sich.«
»Nein. Ich irre mich nicht.« Er starrte sie an und sie war froh über die Dunkelheit, die seine seltsamen Augen verbarg. »Wissen Sie, warum ich hier bin, Lady?«
»Man hat mir gesagt, Sie seien der Sohn des Königs von Lienid. Man hat mir gesagt, Sie suchen Ihren verschwundenen Großvater. Warum Sie an Randas Hof gekommen sind, kann ich nicht sagen. Ich bezweifle, dass Randa Ihr Entführer ist.«
Er überlegte einen Moment, und ein Lächeln flackerte über sein Gesicht. Katsa wusste, dass sie ihn nicht täuschen konnte, aber das machte nichts. Er mochte seine Informationen haben, aber sie hatte nicht vor, sie zu bestätigen.
»König Murgon war ganz sicher, dass ich an dem Raub beteiligt war«, sagte er. »Er schien überzeugt, dass ich wusste, was ihm gestohlen worden war.«
»Und das ist nur natürlich«, sagte Katsa. »Die Wachen haben einen beschenkten Kämpfer gesehen und Sie sind nichts anderes als ein beschenkter Kämpfer.«
»Nein. Murgon glaubte nicht deshalb, dass ich beteiligt war, weil ich ein Beschenkter bin. Er glaubte, ich sei beteiligt, weil ich ein Lienid bin. Können Sie mir das erklären?«
Natürlich würde sie ihm diese Frage nicht beantworten, diesem spöttischen Lienid. Sie bemerkte, dass sein Hemdkragen jetzt geschlossen war. »Offenbar knöpfen Sie für festliche Abendessen Ihr Hemd zu«, hörte sie sich sagen, obwohl sie nicht wusste, woher diese sinnlose Bemerkung kam.
Sein Mund zuckte, und als er sprach, konnten die Wortesein Lachen nicht verbergen. »Ich habe nicht gewusst, dass Sie sich so für mein Hemd interessieren, Lady.«
Ihr Gesicht brannte, sein Lachen machte sie wütend. Das alles war absurd und sie würde es nicht länger ertragen. »Ich gehe jetzt in meine Gemächer.« Sie wandte sich zum Gehen. Im Nu stand er vor ihr und versperrte ihr den Weg.
»Sie haben meinen Großvater«, sagte er.
Katsa versuchte an ihm vorbeizukommen. »Ich gehe in meine Räume.«
Er versperrte ihr wieder den Weg, und diesmal hob er warnend den Arm.
Nun, endlich gingen sie auf eine Art miteinander um, die Katsa verstand. Sie legte den Kopf schief und schaute ihm in die Augen. »Ich gehe in meine Räume, und wenn ich Sie dafür niederschlagen muss, dann werde ich das tun.«
»Ich lasse Sie nicht gehen«, sagte er, »bis Sie mir sagen, wo mein Großvater ist.«
Sie wollte wieder an ihm vorbei und er ließ sie wieder nicht durch. Fast erleichtert hob sie die Hand, um ihm ins Gesicht zu schlagen. Doch das war nur vorgetäuscht, und als er sich duckte, stieß sie ihm ihr Knie in den Magen, aber er drehte sich weg, so dass der Stoß nicht richtig traf, und seine Faust schlug ihr in den Bauch. Sie ließ den Schlag zu, nur um zu sehen, wie gut er war, und dann bereute sie es. Das war kein Soldat des Königs – wenn zehn von denen auf sie losgingen, spürte sie ihre Schläge kaum. Dieser hier konnte ihr den Atem nehmen. Er konnte kämpfen, also sollte er seinen Kampf bekommen.
Sie sprang und trat ihm in die Brust. Er stürzte zu Boden, sie warf sich auf ihn, schlug ihm einmal, zweimal, dreimal insGesicht und stieß ihm das Knie in die Seite, bevor er sie abwerfen konnte. Wie eine Wildkatze war sie wieder auf ihm, doch als sie seine Arme packen wollte, warf er sie auf den Rücken und hielt sie mit dem Gewicht seines Körpers fest. Sie zog die Beine an und stemmte ihn hoch, dann waren sie wieder auf den Füßen, duckten sich, umkreisten sich, bedrängten sich mit Händen und Füßen. Sie trat ihm in den Magen und hämmerte gegen seine Brust, und dann wälzten sie sich wieder am Boden.
Katsa wusste nicht, wie lange sie gekämpft hatten, als sie merkte, dass er lachte. Sie verstand seine Heiterkeit, verstand sie völlig. Noch nie hatte sie einen solchen Kampf erlebt, noch nie einen solchen Gegner. Sie war beim Angriff schneller als er, viel schneller, doch er war stärker, und es war, als ahne er jede ihrer Drehungen,
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