Die Beschleunigung der Angst
des übergewichtigen
Entführers nahm an Intensität zu. Immer wilder kreiste Piet um sich selbst,
machte Ausfallschritte, Hüftschwünge und Verrenkungen. Er liebkoste die
Machete, streichelte sie, fuhr mit den Fingern die Schneide entlang und legte
sie sich ans Gesicht wie ein liebgewonnenes Haustier. Die Darbietung war an
Lächerlichkeit nicht zu überbieten, und wären die Umstände andere gewesen, so
hätte Daniel sich köstlich amüsiert. Doch hier war ihm überhaupt nicht zum
Lachen zumute.
Er hatte es vorher bereits
geahnt - nein, er hatte es gewusst - doch nun brach die Erkenntnis in seinen
Geist ein wie Piet in das Leben seiner Nichte. Die beiden waren völlig
durchgeknallt. Das war kein morbider Spaß, dies war tödlicher Ernst!
Trotzdem kam er nicht umhin,
sich zu fragen, wie Thomas auf diese unbeholfene Tanzperformance reagiert
hätte. Wahrscheinlich hätte Thomas an seiner Stelle trotzdem gelacht, einfach,
um den beiden Arschlöchern zu zeigen, dass er sich von solch armen Würsten
nicht unterkriegen lassen würde.
Wieder hob Kurt einen
Daumen. Wahrscheinlich wollte er seinem Hauptdarsteller zeigen, wie zufrieden
er mit ihm war. Doch dann wedelte er mit der Hand.
Mach weiter
Piet beendete seine
Aufführung und drehte sich zu Karla um. Sie starrte zu ihrem Onkel und ihr
Blick steckte Daniel einen Eiszapfen ins Herz. Der Entführer kniete sich vor
seine Nichte und hielt ihr die Machete vor das Gesicht, näherte die Klinge
ihrem rechten Auge, das Karla jetzt zukniff. Daniel sah, wie die Spitze des
Messers sich in das weiche Fleisch grub. Ein perfekt roter Tropfen quoll aus
der Wunde. Wie eine rote Träne rann er ihre Wange herab, zitterte einen Moment
an ihrem Kinn und zerplatzte schließlich auf dem Shirt, wo er aussah wie ein
kleines Einschussloch.
Karla schrie in ihren
Knebel, schüttelte sich und versuchte, nach ihrem Onkel zu treten. Piet nahm
die Waffe aus ihrem Gesicht und schlug ihr mit dem Handrücken auf die Wange. Es
klatschte so laut, dass Daniel erschrak. Karlas Kopf ruckte herum, ein
Blutfaden rann ihr aus dem Mund, befleckte den Knebel.
Piet wandte sich der Kamera
zu, in seinen Augen blitzte der Wahnsinn. Sie waren so weit aufgerissen, als
hätte er Aufputschmittel genommen. Doch das glaubte Daniel nicht. Dies hier war
sein Aufputschmittel. Aber auch Hass blitzte in seinem Blick. Reiner Hass. Piet
hasste seine Nichte. Wahrscheinlich war er ebenso wie seine ehemalige Frau der
Meinung, Karla hätte sein Leben zerstört. Er hasste sie und war gleichzeitig
von ihr besessen.
Als er sich ihr wieder
zuwandte und vor ihr in die Knie ging, fasste Daniel eine Entscheidung. Sie
würden hier sowieso sterben. Lediglich die Frage des Wie war noch nicht
beantwortet. Auch wenn er sein Versprechen gegenüber Karla brach, er musste die
Chance, sehr wahrscheinlich seine Letzte, nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Aufhören!«, schrie er.
»Aufhören!«
Kurt fuhr zu ihm herum.
»Ich habe dich gewarnt«,
sagte der Polizist, der die Pistole aus dem Gürtel zog.
Daniel liefen Tränen über
die Wangen. Er hatte nicht mitbekommen, dass er zu weinen begonnen hatte, doch
jetzt war er fast dankbar dafür, dass die Tränen ihm den Blick verschleierten
und die Umgebung mit einem Schleier überzogen. Trotzdem sah er die Waffe dicht
vor seinem Gesicht, sah Kurt mit vor Wut verzerrtem Gesicht vor sich stehen,
bemerkte Piet, der von Karla abließ und ihn mit seinen wahnsinnigen Augen
ansah.
»Willst du sterben, du
kleine Ratte?«, fragte Kurt und drückte Daniel die Mündung auf die Stirn.
»Willst du sterben?«
»Nein«, flüsterte Daniel und
Rotz lief ihm aus der Nase. »Nein, ich will nicht sterben. Ich will leben.«
»Und warum tust du nicht
einfach was ich sage?«
»Ihr müsst aufhören.« Daniel
schluckte. Kurt verstärkte den Druck auf seine Stirn. »Piet ... Piet ist ihr
Onkel.«
Aus dem Augenwinkel erkannte
Daniel, dass der Ledergewandete zusammenzuckte, als hätte er gegen einen
elektrischen Zaun gepinkelt. Gut.
»Was hast du gesagt?«,
fragte Kurt. Er ging in die Knie und sah Daniel in die Augen. Aus der Nähe
betrachtet war das Gesicht des Mannes furchteinflößend. Ein harter Rahmen
umfasste eine Leinwand, auf der in düstersten Farben ein Bild voller Hass und
Wut gemalt worden war. Der Druck der Mündung verstärkte sich nochmals.
»Es stimmt«. Daniel nickte
heftig, um seine Worte zu unterstreichen. »Sie heißt Karla. Piet ist ihr
Onkel.«
Der Polizist nahm seinen
Hauptdarsteller ins
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