Die Beschleunigung der Angst
Für
mich sieht das hier ganz nach einem Patt aus.«
Hinter dem Hünen schlüpfte
eine weitere Person in den Ballsaal. Dann noch eine. Beide zielten mit Pistolen
auf den Polizisten. Eine davon war ein Mann, der ein einziger Muskel zu sein
schien. Er war zwei Köpfe kleiner als der Riese in der Tür, jedoch deutlich
breiter gebaut. Außerdem schien er keinen Hals zu haben. Sein Kinn schmückte
ein Ziegenbärtchen, was Daniel an Fernsehköche denken ließ, bei denen es
anscheinend Einstellungsvoraussetzung war, so einen albernen Haarbewuchs im
Gesicht zu tragen. Eine bemerkenswerte Veränderung ging im Gesicht des
Muskelprotzes vor, während der die Szenerie im Raum begutachtete. Daniel konnte
es nicht deuten, aber es sah aus, als fiele ein unsichtbarer Vorhang über das
Gesicht des Kraftpakets.
Bei der anderen Person
handelte es sich um eine Frau, die mit ihren gewellten, kupferroten Haaren
Daniels geheimen Träumen ziemlich nahekam. Sie war in Tarnfarben gekleidet und
hatte ein offenes, herzförmiges Gesicht. Irgendwie kam sie Daniel bekannt vor.
»Deshalb«, sagte der Hüne
und lächelte.
»Ihr wisst nicht, was ihr da
tut«, sagte Kurt. Doch jetzt hatte sich Unsicherheit in seine Stimme
geschlichen, ganz leicht zwar, jedoch nicht zu überhören. »Ihr werdet das noch
bereuen.«
Der Mann in der Tür gähnte
theatralisch.
»Ich weiß. Ich fange auch
schon damit an. Und jetzt die Waffe runter. Ich bin kein sehr geduldiger
Mensch.«
Kurt ließ seinen Arm sinken
und die Pistole aus der Hand fallen.
»Und jetzt kick sie zu mir
rüber.«
Kurt trat gegen den
Pistolengriff. Das Geräusch, mit dem die Waffe über den unebenen Boden holperte
und hüpfte, war in der eingetretenen Stille viel zu laut. Daniel zog den Kopf
ein. Er hatte das sichere Gefühl, dass sich eine Kugel aus der Waffe lösen und
ihn entweder direkt oder als Querschläger töten würde.
Doch es löste sich kein
Schuss, und Kurts Pistole beendete ihre Schlitterfahrt unter dem mächtigen
Stiefel des Riesen.
»Danke schön. Und jetzt nimm
die Hände hoch. Schön langsam. Und dann legst du sie auf den Kopf. Und ich
würde mich freuen, wenn du die gesamte Zeit dabei lächelst. Das tut zwar nichts
zur Sache, aber ich habe gern freundliche Menschen um mich.«
Kurt lächelte übertrieben,
während er die Hände wie befohlen auf den Kopf legte.
»Fick dich«, presste er
zwischen grotesk verzerrten Lippen hervor.
Der Hüne schüttelte den
Kopf.
»Vielleicht später. Übrigens
ist es sehr zuvorkommend von dir, deinen Komplizen auszuknocken. Erspart uns
Arbeit, obwohl ich den Part auch übernommen hätte, ohne zu meckern.« Er wandte
sich an seinen Mithelfer. »Keiler, würdest du ihn durchsuchen?«
Der Mann ohne Hals grunzte
und setzte sich in Bewegung. Fast hätte Daniel gelacht. Einen passenderen
Spitznamen hatte er selten gehört. Nichtnur der Körperbau Keilers, auch
das Grunzen erinnerte an ein läufiges Wildschwein.
Keiler hielt die Pistole in
der Hand, als er sich vor den Polizisten bückte und erst die Hosenbeine, die
Taille, den Oberkörper und schließlich die Achselhöhlen absuchte. Er brachte
keine weiteren Waffen zutage, dafür jedoch ein Handy. Er grunzte und entfernte
sich rückwärts vom Polizisten.
Die Frau und der Riese
hatten die gesamte Zeit angespannt zugesehen, bereit, jeden Moment abzudrücken.
Aber Kurt war zu klug, etwas Blödes zu versuchen. Fast bedauerte Daniel das,
auch wenn er sich nicht sicher war, ob er sich dafür schämen sollte. Nein,
sagte er sich. Das war gewiss kein Grund sich zu schämen. Kurt hatte eine Kugel
in den Kopf verdient. Und Piet ebenso.
Keiler reichte seinem
Anführer das Telefon. Der Riese ließ es auf den Betonboden fallen und zermalmte
das Handy unter den Absätzen seiner titanischen Wanderstiefel. Das Knirschen
machte deutlich, dass vom Telefon nicht viel mehr als kleine Plastikschnipsel
übrig bleiben würden.
»Ich fürchte, ich habe dein
Handy kaputtgemacht«, sagte Marco mit gespieltem Bedauern. »War keine Absicht.«
Kurze Pause. »Obwohl, eigentlich war es doch Absicht.«
Keiler grunzte. Vielleicht
war das seine Art zu lachen.
Auf einmal lachte Kurt laut
auf. Diesmal klang es fast echt.
»Oh Scheiße. Jetzt weiß ich,
wer ihr seid! Verdammt, warum bin ich da nicht gleich drauf gekommen? Ich werde
verrückt!«
Und dann dämmerte es auch Daniel.
Jetzt wusste er, woher er die Frau kannte. Er hatte sie erst kürzlich gesehen,
jedoch nicht im wahren Leben. Sie trug heute kein Halstuch, und
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