Die Beschleunigung der Angst
ihre
wunderschönen Haare waren offen statt zu einem Zopf geflochten, und doch war er
sicher. Die Frau vor ihm im Tarnfarbenanzug und mit der sportlichen Figur war
niemand anderes als die Bankberaterin, die von den Bankräubern als Geisel
genommen und deren Bild heute Morgen im Fernsehen gezeigt worden war. Die Frau
von der Thomas gesagt hatte, dass er sie flachlegen würde. Nur dass sie jetzt
nicht wie eine Geisel aussah. Ganz und gar nicht.
»Also, ihr wollt
sichergehen, dass ihr nie mehr aus dem Knast rauskommt, oder?«, sagte Kurt.
»Ich darf mal aufzählen: bewaffneter schwerer Raubüberfall, schwere
Körperverletzung, die sich noch leicht zum Mord auswachsen kann, wenn der arme
Teufel aus der Bank es nicht schafft. Dann Bedrohung und Freiheitsberaubung
eines Polizeibeamten. Von Beamtenbeleidigung will ich gar nicht reden, das ist
ein Tropfen auf den heißen Stein.«
»Halt‘s Maul«, sagte Keiler.
»Sonst kommt noch Körperverletzung eines Beamten dazu.« Seine Stimme klang, als
würde er in seiner Freizeit hobbymäßig Glas kauen.
Doch Kurt sprach weiter.
»Aber seid ganz beruhigt.
Wir sind euch schon ganz nah auf der Spur. Es kann nicht mehr lange dauern, bis
meine Kollegen das Haus umstellt und eure Ärsche festgenagelt haben. Das wird
ein Spaß.«
»Ruhig, Keiler«. Der Riese
stand mittlerweile im Raum, etwa fünf Meter von Kurt entfernt. Er war auf jeden
Fall der Anführer der drei Bankräuber. »Und du hörst endlich auf mit deinen
Polizistengeschichten. Du bist ein Verbrecher, sonst nichts.«
Kurt lächelte.
»Ach, ist das so? Würdest du
darauf wetten, Großer? Ich mache dir einen Vorschlag. Sieh mal im Nebenzimmer
nach, dort liegt eine Uniform und ein Ausweis mit meinem Foto drauf. Oder du
gehst einfach durch die Haustür und betrachtest dir den Einsatzwagen auf dem
Hof.«
Ein kurzer Anflug von
Unsicherheit überzog das Gesicht des Mannes wie eine Wolke, die sich vor die
Sonne schiebt.
Dann nickte er Keiler zu.
»Sieh mal nach.«
Als die Flügeltür hinter dem
muskulösen Mann schräg ins Schloss gefallen war, wandte sich der Wortführer
wieder an den Polizisten.
»Und der da?« Er zeigte mit
dem Lauf der Waffe auf den heulenden Entführer. »Ist das auch ein Polizist?
Vielleicht der Hauptkommissar?«
Kurt schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Das ist
kein Polizist. Das ist einfach nur ein dummes Stück Scheiße.«
Ein Hauch von Belustigung
trat in die Augen des großen Mannes.
»Ah, ihr scheint euch sehr
nahe zu stehen. Es geht doch nichts über wahre Freundschaft, in der man sich
alles sagen kann.« Er wandte sich an die Frau. »Bitte befreie das Mädchen von
den Fesseln.«
Die angebliche Geisel setzte
sich in Bewegung. Mit ausgestrecktem Arm und mit auf den Polizisten gerichtete
Pistole zog sie einen Halbkreis durch den Ballsaal. Bei Karla angekommen,
verstaute sie ihre Waffe hinter dem Gürtel der Tarnhose und ersetzte sie durch
ein scharf aussehendes Messer. Mit einem schnellen Schnitt durchtrennte sie die
Kabelbinder und zog den Knebel aus dem Mund des Mädchens. Daniel zog es
abermals das Herz zusammen, als er Karlas Blick las. Sie sah aus, als erwarte
sie Schläge, als würde der Albtraum fortgeführt werden, als würden lediglich
neue Monster die alten ersetzen. Er hoffte, dass sie Unrecht hatte. Die
Bankerin schlug sie nicht. Im Gegenteil strich sie Karla mit der flachen Hand
über die Wange und das Haar aus dem Gesicht. Dabei ließ sie Piet keine Sekunde
aus dem Blick.
»Alles in Ordnung?«,
flüsterte sie.
Karlas Augen liefen über,
als sie den Kopf schüttelte.
»Okay, setz dich neben ihn.«
Damit zeigte sie auf Daniel.
Karla stand auf und ging auf
unsicheren Beinen auf Daniel zu. Es wirkte, als gehörten sie nicht zum Rest des
Körpers, als liefe sie auf Stelzen. Dann hatte sie ihn erreicht und setzte
sich. Daniel fiel der Blick auf, mit dem die Frau Karla hinterhersah. Es sah
aus, als würde Karla etwas in ihrem Gedächtnis wachrufen, was die Frau
verzweifelt zu fassen versuchte. Aber in das Gesicht der Bankerin trat kein
Aha-Erlebnis.
»Fessel den heulenden
Penner, Yvonne. Schieb ihm am besten den Knebel in den Mund. Der nervt mich
wirklich. Und sei nicht zu vorsichtig.« Der Riese ging in die Hocke und kramte
ein Seil aus der Sporttasche. Er warf es der Frau zu, die es mit der freien
Hand auffing.
Piet leistete keinen
Widerstand, während die Frau, Yvonne, mit kräftigen Rucken seine Hände hinter
dem Rücken fesselte. Auch, als sie ihm tatsächlich den
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