Die Beschleunigung der Angst
Bankerin.
»Ich wusste es doch«, sagte
sie und wandte sich Keiler zu. Der war mittlerweile durch den Raum geschritten,
hatte sich den Stuhl geschnappt und sich rittlings vor die Matratze und den
immer noch wimmernden Piet gesetzt.
»Was machst du da?«, fragte
Yvonne ihren Komplizen.
»Lass mich in Ruhe, Yvonne.«
Keilers Stimme gab deutlich zu verstehen, was er von der Idee hielt, der Frau
in seinem Team Rechenschaft ablegen zu müssen. »Ich will mich nur ein wenig
unterhalten, okay?«
»Mach keinen Scheiß, Keiler.
Ich beobachte dich, ist das klar?«
»Ja ja, reg dich ab. Ich
will nur reden. Konversation machen.«
Damit wandte sich der Mann,
dessen Oberarme voluminöser waren als Daniels Unterschenkel, Piet zu.
»Komm«, sagte er, »Ich
befreie dich mal von der Maske.«
Er beugte sich vor, griff
die dreieckige Kopfbedeckung und riss sie seinem Gegenüber samt Knebel vom
Kopf. Verschwitztes, rotblondes Haar und rotfleckige Wangen kamen zum
Vorschein. Piet machte den Eindruck, als hätte ihn ein übles Fieber erwischt.
»Puh, jetzt verstehe ich,
warum du eine Maske trägst. Würde ich an deiner Stelle auch tun. Viel besser.«
Piet würgte und spuckte
einen schleimigen Klumpen auf die Matratze. Auf Keilers Worte ging er nicht ein.
Daniel sah keinerlei Anzeichen, dass er sie vernommen oder verstanden hatte.
»Weißt du, was ich draußen
gefunden habe?«, fragte Keiler und zog etwas unter seinem Gürtel hervor. Daniel
erkannte es sofort. Es handelte sich um das Magazin, das Thomas aus dem
Handschuhfach geklaut, und er, Daniel, ins Gebüsch geschleudert hatte. Er sah
die Frau, gefesselt und verängstigt, blutend und erniedrigt.
»Das gehört dir, richtig? So
eine richtig nette, kleine Feierabendlektüre.«
Piet schüttelte den Kopf.
»Das gehört mir nicht«,
sagte er, und seine Stimme klang so dünn, als sei sie zwischen zwei Backsteinen
zusammengepresst worden. »Noch nie gesehen.«
»Oh. Dann hast du die
Magazine im Handschuhfach deines Geländewagens wohl auch noch nie gesehen.
Verstehe. Hat bestimmt mal ein Anhalter dort vergessen, den du mitgenommen
hast. Vielleicht ja sogar eine Nonne, die du mal ins Kloster gefahren hast,
weil du sie im Regen nicht laufen lassen wolltest. So ein guter Mensch! Es ist
mir wirklich eine Ehre, dich kennenzulernen!«
Piet blickte zur Seite,
vermied Blickkontakt mit Keiler. Doch der war noch nicht fertig.
»Weißt du, wie das für mich
aussieht, du Loser? Du hattest es satt, immer nur davon zu lesen. Du wolltest
nicht immer nur dabei zusehen, wie andere Männer deine Träume ausleben. Du
wolltest auch mal die Hauptrolle spielen. Und das musstest du natürlich auf
Video haben, weil du nicht nur krank im Kopf, sondern auch noch unglaublich
blöd bist. Genau wie dein Freund da drüben.«
Keiler nickte in Richtung
Kurt.
»Du bist ja ein richtiger
Psychologe«, sagte der Polizist von der anderen Seite des Raums. »Ein richtiger
Menschenkenner. Ich bin zutiefst beeindruckt. Weißt du, so einen wie dich
könnten wir bei der Polizei echt gut gebrauchen. Doch wenn wir dich bekommen,
wirst du keinen Job bei uns angeboten bekommen. Vielmehr wirst du als
Gefängnishofhure enden, die ihren Arsch für eine Dose Cola verkaufen wird.«
»Das reicht«, sagte Yvonne.
»Halt den Mund. Das gilt auch für dich, Keiler. Schalt mal einen Gang zurück.«
Keiler warf ihr einen Blick
zu.
»Alles cool, Yvonne. Alles
unter Kontrolle.«
Die Frau nickte. »Das will
ich hoffen.«
Eine Minute sagte niemand
etwas. Karla schmiegte sich an Daniel. Ihr Gewicht lastete auf seinen
verkrampften Muskeln, doch er schwor sich, eher zu sterben, als sie
wegzuschicken. Sie vergrub ihren Kopf an seine Brust. Selbst jetzt, nach allem,
was sie durchgemacht hatte, rochen ihre Haare wie gerade gewaschen. Wie frisch
gemähtes Gras. Er blickte auf ihren schlanken Hals. Braungebrannt. Wunderschön.
»Es macht dich geil, Frauen
zu erniedrigen, oder?«
Keiler hatte wieder zu
sprechen begonnen. Piet spuckte einen weiteren Klumpen Rotz aus.
»Dir geht richtig einer ab
dabei, wenn du Frauen schlägst. Wenn sie dir ausgeliefert sind.«
»Keiler«, sagte Yvonne. Ihr Tonfall
machte klar, dass sie von ihm erwartete, dass er aufhörte. »Es reicht!«
Doch Keiler hörte nicht auf.
Schweißperlen standen auf seiner Stirn, liefen ihm über das Gesicht,
zerplatzten auf der Matratze.
»Da kommst du richtig in
Fahrt, wenn sie schreien, wenn sie um sich schlagen. Aber sie haben keine
Chance gegen dich, stimmt‘s? Du bist
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