Die Beschützerin
die Erinnerung einen Streich. Ich war Freitagnachmittag so müde und verwirrt gewesen. Waren die Tabletten schuld, dass ich etwas verwechselte? Hatte ich mich nach dem Packen noch mal kurz hingelegt? War das gewesen, nachdem ich das Bett gemacht hatte? Dann könnte der Körperabdruck von mir selbst stammen. Aber die offene Balkontür ⦠Die hätte ich doch bemerken müssen. Vielleicht war sie beim SchlieÃen nicht richtig eingerastet, sodass sie später durch einen Windstoà aufgedrückt wurde. Wenn das Gewitter auch hier getobt hatte, konnte es ja eine heftige Böe gegeben haben.
Ich stützte den Kopf in die Hände. Das alles konnte so gewesen sein. Aber mir war nie zuvor so was passiert. Andererseits ⦠zu denken, dass jemand Fremdes meine Wohnung betreten und in meinem Bett gelegen haben sollte, kam mir noch viel absurder vor. Derjenige musste ja irgendwie hereingekommen sein.
Ich lief zu meiner Eingangstür. Hatte ich etwas übersehen? Einbruchspuren? Es war nichts zu erkennen. Ein anderer Gedanke schoss mir durch den Kopf. Und wenn es kein Fremder gewesen war, sondern jemand, den ich kannte? Mein Blick fiel auf Gregors Ersatzschlüssel an dem roten, geflochtenen Bändchen. Er hing noch immer neben der Tür an meinem Schlüsselbord. Gregor konnte definitiv nicht hier gewesen sein. Nur Ulla besaà einen weiteren Nachschlüssel, genauso wie ich einen von ihrer Wohnung.
Ich ging in Gedanken durch, wer in der letzten Zeit meine Wohnung betreten hatte. Ulla natürlich. Und am Freitag Vanessa Ott. Sie hatte darauf bestanden, mit nach oben zu kommen, obwohl ich gesagt hatte, es sei nicht nötig. Und dann tauchte sie auch noch in Boltenhagen auf. Wobei ich mir nach wie vor nicht sicher war, ob sie tatsächlich dort gestanden hatte. Es ergab auch keinen Sinn. Was sollte Vanessa Ott in Boltenhagen? Oder allein in meiner Wohnung?
Auch Sebastian war hier gewesen. Konnte es möglich sein, dass er den Ersatzschlüssel an sich genommen, kopiert und später während meiner Abwesenheit wieder an seinen Platz gehängt hatte? Ich dachte an seine E-Mail. »Selbst schuld, du hast mich verwirrt â¦Â«. Was ging in seinem Kopf vor? Er war mir bisher ganz normal vorgekommen. Ein gut aussehender, etwas verträumter und chaotischer Typ, der gern flirtete und wunderschöne Musik machte. Aber natürlich kannte ich ihn nur flüchtig. Vielleicht hatte er ein gestörtes Verhältnis zu Frauen, spionierte ihnen nach und sammelte persönliche Gegenstände als Fetische? Vielleicht hatte er mir über Bennis Mutter nur Lügen erzählt, und sie hatte ihn verlassen, weil er ⦠Stopp, ermahnte ich mich. Die Fantasie ging eindeutig mit mir durch. Trotzdem sah ich in meinem Wäschekorb nach. Meine benutzte Unterwäsche war noch da.
Ich versuchte, mich daran zu erinnern, ob der Ersatzschlüssel neben der Tür gehangen hatte, als ich zur Ostsee aufgebrochen war. Aber ich wusste es einfach nicht, egal, wie sehr ich meine Gehirnzellen strapazierte. Ich hatte nicht auf den Schlüssel geachtet. Wozu auch.
Ich goss mir in der Küche ein Glas Wasser ein, kehrte zurück aufs Sofa und versuchte mich zu beruhigen. Als einzige Erklärung bot sich an, dass Ulla hier gewesen war. Vielleicht hatte sie eine Pause zwischen zwei Terminen in der Nähe überbrückt und sich einen Moment ausgeruht. Sie hatte bemerkt, dass meine Blumen vertrockneten, hatte sie gegossen und versehentlich die Tür aufgelassen. Nein, das klang alles nicht sehr realistisch. Aber irgendeine Erklärung musste es geben. Ich holte mein Telefon und rief bei Ulla an. Zum Glück war sie zu Hause.
»Janne, wie geht es dir?« Sie klang gehetzt.
»Wieder besser, danke, ich bin gerade von der Ostsee zurück. Sag mal, warst du am Wochenende in meiner Wohnung?«
»Nein. Wie kommst du darauf?« Sie stockte. »Du liebe Zeit! Sag nicht, ich sollte die Blumen gieÃen und hab es vergessen?«
»Nein, mach dir keine Sorgen.«
»Ah, ein Glück. Ich weià im Moment echt nicht, wo mir der Kopf steht. Ich hab so viel zu tun mit diesem Prozess. Und ich bin so verliebt. Janne, ich bin verliebt wie noch nie in meinem Leben.«
»Wirklich â¦? Das ist â¦Â«
»Du, Janne? Bitte sei nicht böse, wenn ich etwas kurz angebunden bin. Tom und ich wollen ins Kino, und ich bin noch nicht umgezogen.«
»Bitte sag mir nur noch eines: Gab es hier
Weitere Kostenlose Bücher