Die Beschützerin
gestern auch ein Gewitter?«
»Nein, leider nicht.« Sie seufzte. »Ich hatte so darauf gehofft. Drückend heià war es. Aber Gewitter gab es wohl nur oben an der Küste.«
»Es hat nicht geregnet?«
»Keinen Tropfen. Wieso fragst du?«
»Erzähle ich dir später.«
Ich wünschte ihr viel Spaà im Kino und legte auf. Mit zitternden Händen schloss ich meine Balkontür. Wer hatte meine Blumen gegossen?
Das Gefühl war fremd und sehr verstörend. Ich hatte Angst in meinen eigenen vier Wänden. Ich war hellwach, und mein Gehirn lief auf Hochtouren. Ich wollte nicht hierbleiben. Zuerst sah ich nach, ob alle Fenster geschlossen waren. Ich prägte mir den Zustand meiner Wohnung genau ein, registrierte und speicherte jeden Handgriff, den ich tat. Es würde mir nicht noch einmal passieren, dass ich mich an Einzelheiten nicht erinnern konnte. Dann drehte ich von auÃen zweimal den Schlüssel im Türschloss und lauschte auf Geräusche im Hausflur, auf Laute aus Sebastians Wohnung. Nichts.
Auch auf der StraÃe wurde ich das Gefühl nicht los, dass jemand mich überwachte. Ich blickte mich um. Wie an jedem Abend waren viele Leute unterwegs, Anwohner, die nach Hause kamen, oder bummelnde Touristen auf dem Weg in eines der Restaurants. Das Gefühl, unter Menschen zu sein, beruhigte mich ein wenig.
Heute Nachmittag, bevor wir getrennt mit den zwei Autos zurückfahren mussten, hatte Gregor mich gefragt, ob ich am Abend noch zu ihm kommen wollte. Ich hatte abgelehnt. Ich hatte am Montag lieber früh im Sender sein wollen. Jetzt aber war ich dankbar für sein Angebot.
Eigentlich hatte er mich noch anrufen wollen, ob ich gut in Berlin angekommen war, aber er hatte sich nicht gemeldet. Hatte er mich vergessen? Ich verdrängte den unschönen Gedanken. Ich fand einen Parkplatz fast vor Gregors Haus und sah erstaunt, dass die Werkstatt hell erleuchtet war. Arbeitete er etwa? Am späten Sonntagabend?
Durch das Schaufenster sah ich ihn. Er arbeitete an einem Tisch, an einer Oberfläche mit Intarsien. Der musste wohl zu der wertvollen Sitzgruppe gehören. Gregor, der sonst alles ruhig und bedächtig erledigte, wühlte hektisch in einer Werkzeugtruhe. Er zog einen länglichen Gegenstand heraus, schleuderte ihn wütend zurück. Nun hatte er eine groÃe Feile in der Hand. Er lieà sie fallen. Ich hörte das scheppernde Geräusch bis auf den Bürgersteig, dann seine Flüche.
Ich war stehen geblieben. Was war los mit ihm? Meine innere Stimme warnte mich davor, zu klingeln. Aber das war lächerlich. Ich drückte auf den Knopf.
Er machte mir nicht auf. Ich hatte schon dreimal geklingelt, doch er reagierte nicht darauf. Ich stellte mich direkt vors Schaufenster und klopfte gegen die Scheibe. Er sah mich, drehte sich um und kam in Richtung Haustür. Er riss sie auf. Ich erschrak, als ich das Ausmaà von Wut und Verletzung in seinen Augen sah.
»Was willst du hier? Du bist doch verabredet«, sagte er mit einer Kälte in der Stimme, die mir noch mehr Angst machte.
Ich sah ihn fassungslos an. »Was ist los? Was meinst du?«
Er schnaubte und schüttelte den Kopf. »Du hast wirklich Nerven, hier aufzukreuzen. Willst du es noch schlimmer für mich machen?«
»Gregor, ich weià nicht, wovon du redest.«
»Nein? Keine Ahnung?« Er trat mit einer heftigen Bewegung zur Seite und gab den Eingang frei. »Dann werde ich es dir zeigen.« Er drehte sich um und ging in sein Büro. Ich folgte ihm langsam und zögernd.
Er hämmerte mit wütenden Bewegungen auf der Tastatur seines uralten Computers herum.
»Ich habe es schon gelöscht. Ich will das nie wieder anschauen müssen. Aber es ist noch da, im Papierkorb.«
Ich stand neben ihm und sah, wie er eine E-Mail öffnete. »Dein Song« las ich in der Betreffzeile. Mein Herzschlag setzte aus. War das Sebastians E-Mail an mich?
»Du brauchst es nicht zu lesen. Du kennst den Inhalt bestimmt auswendig.« Gregor hatte schon die Hand auf der Tastatur, um auszuschalten.
»Nein, warte«, rief ich. Es war nicht nur die eine Mail, sondern ein gesamter E-Mail-Verkehr zu sehen. Die Absender waren Sebastians und meine Mailadresse im Sender.
»Hallo Janne, sehen wir uns heute Abend? Ich habe an dich gedacht, und auf einmal hatte ich eine Melodie für ein neues Stück im Kopf. Das muss ich dir unbedingt vorspielen. Ich habe es Jannes
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