Die Beschützerin
gewohnt und die Tage mit Shoppen verbracht. Sie ist taub für jeden Rat von mir. Sie reagiert nur noch aggressiv, wenn ich versuche, sie zu bremsen. Ich habe einfach aufgegeben.«
»Wo ist sie jetzt?«
»Auf der Krisenstation einer psychiatrischen Klinik.«
»Das tut mir sehr leid.« Ich zögerte. »Ich dachte, ich hätte sie gestern von Weitem gesehen. In der Nähe meiner Wohnung, am Kollwitzplatz.«
»Nein, vollkommen unmöglich. Sie war nirgendwo in den letzten zwei Tagen. Ich hab sie besucht, sie war vollgepumpt mit Beruhigungsmitteln.«
»Und wie soll es mit ihr weitergehen?«
»Wenn sie dort entlassen wird, muss sie zurück nach Köln. In ihre alte Wohnung. Ihre Schwester wohnt in der Nähe. Die muss sich um sie kümmern. Ich werde es nicht mehr tun.« Er klang, als wäre er noch weit davon entfernt, seinen Worte selbst zu glauben.
Nach dem Telefonat fühlte ich mich traurig und antriebslos. Miranda hatte meine Aloe nicht auf dem Gewissen. Also weiter ⦠Gegrübelt hatte ich genug, jetzt musste ich handeln. Das Türschloss â¦
Ich setzte mich an Ullas Schreibtisch. Die Belüftung ihres Computers surrte leise, er war eingeschaltet. Ich googelte und fand den Schlüsseldienst bei mir um die Ecke, an dem ich auf dem Weg zur U-Bahn immer vorbeikam. Der Mitarbeiter witterte die Chance, mir eine aufwendige SchlieÃanlage zu verkaufen, und ich lieà mich darauf ein. Hauptsache, er garantierte mir gröÃtmögliche Sicherheit und baute alles so schnell wie möglich ein. Er konnte mir sogar einen Termin am frühen Nachmittag anbieten, weil ihm jemand abgesagt hatte.
Während ich mit ihm sprach, entdeckte ich einen Stapel Papier auf Ullas Schreibtisch. Es waren die Zeitungsartikel zu dem Todesfall in Hamburg, die sie im Netz gefunden hatte. »Mysteriöser Selbstmord in Hamburger Softwarefirma«. Zum ersten Mal sah ich ein Foto von der jungen Frau, die sich in den Tod gestürzt hatte. Katharina Schilling. Ihr blonder Kurzhaarschnitt und das runde, sympathische Gesicht wirkten fast kindlich, und ihr Mund war ein wenig zu groà geraten. Auf dem Bild lachte sie breit. Sie trug ein buntes T-Shirt, auf das ein Meeresstrand mit Möwen gedruckt war.
Ich las alle Artikel durch, erfuhr aber kaum etwas, was Ulla mir nicht schon berichtet hatte. Die Frau war Softwareentwicklerin bei IOMAG gewesen und hatte kurz vor ihrem Tod die Kündigung erhalten, nachdem Bloomsdale Consulting das Unternehmen umstrukturiert hatte. Kurz wurden Stimmen aus ihrem Umfeld zitiert. Ihre Eltern und Freundinnen beschrieben Katharina Schilling als positiv denkenden, fröhlichen Menschen. In ihrer Abteilung war sie sehr beliebt, Kollegen und ihr Chef äuÃerten sich tief betroffen über ihren Tod. Laut einer guten Bekannten schien die Beziehung mit ihrem Freund harmonisch gewesen zu sein, die beiden hatten schon einen Termin auf dem Standesamt festgelegt. Der Freund selbst kam nirgendwo zu Wort, wurde auch nicht namentlich erwähnt. Ãber ihren Abschiedsbrief war nur spekuliert worden. Er hatte in ihrer Wohnung gelegen, wo ihn ihr Freund gefunden hatte. Den Inhalt hatte die Kriminalpolizei mit Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen unter Verschluss gehalten.
Auf einem der Ausdrucke hatte Ulla eine handschriftliche Notiz hinterlassen: »Karsten fragen. Angeblich Interview mit Hunzicker im Abendblatt. « Hunzicker? So hieà doch diese blonde Fernsehmoderatorin aus der Schweiz? Was sollte die mit dem Hamburger Todesfall zu tun haben?
Ich weckte den Computer aus dem Ruhezustand und rief das Archiv des Abendblattes auf. In die Suchmaske gab ich den fremden Namen ein. »Leider ergab Ihre Suche keinen Treffer«, las ich. Ich gab Katharina Schilling in das Suchfeld ein und wurde zu den zwei Artikeln geleitet, die Ulla bereits ausgedruckt hatte.
Ich rief auf Ullas Handy an, um ihr auf die Mailbox zu sprechen. Ich war überrascht, als sie dranging.
»Der Prozess ist unterbrochen«, meinte sie etwas atemlos. »Hier ist echt Stimmung! Es gab Tumult unter den Zuschauern. Der Ex-Hells-Angel wurde bedroht und beschimpft, bevor er auch nur ein Wort aussagen konnte. Dann gingen im Publikum mehrere Typen mit Fäusten aufeinander los. Die waren wohl aus rivalisierenden Banden. Und jetzt schafft die Polizei die Randalierer aus dem Gebäude.« Der Lärm im Hintergrund ebbte etwas ab. Vermutlich war sie in eine ruhigere Ecke
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