Die Beschützerin
Fingernägel klackerten auf einer Tastatur. Der Termin sei storniert worden, ich selbst habe doch vor zwei Stunden angerufen.
»Das muss ein Missverständnis sein. Ich habe nicht angerufen. Und ich brauche das Schloss dringend. Noch heute!«
Obwohl ich fast geschrien hatte, klang ihre Stimme unbeeindruckt. Leider sei es nicht möglich, den Mitarbeiter jetzt zu schicken. So kurzfristig könne sie mir nicht helfen. Es ginge frühestens morgen. Ich legte auf. Warum hatte ich ausgerechnet den Schlüsseldienst bei mir um die Ecke beauftragt? Warum hatte ich es ihr so leicht gemacht?
Mit zitternden Knien stieg ich in den zweiten Stock, stand mit dem Schlüssel in der Hand vor meiner Tür. Tränen schossen mir in die Augen. Das war meine Wohnung. Mein Leben. Niemand konnte mich aus meinem Leben drängen. Doch ich schaffte es nicht aufzuschlieÃen. Als unten die Haustür ins Schloss fiel, fuhr ich zusammen. Jemand kam die Treppe herauf. Benni. Er steckte in einem ausgebeulten Trainingsanzug und trug zwei Tüten vom Supermarkt.
»Hallo Benni.«
»Hi.« Er sah mich erstaunt an. »Weinst du?«
»Nein. Ich wollte gerade ⦠» Mir fiel nichts Passendes ein. Ich steckte den Schlüssel in die Tasche. »Und du? Hast du schulfrei?«
»Es sind doch Ferien.«
»Ach ja.«
»Du kommst doch mit zu meiner Einschulungsfeier, oder?«
Ich räusperte mich. »Na ja, ich glaube schon.«
Sein Gesicht hellte sich auf.
»Wo ist denn dein Papa?«
»Der hat Probe.«
»Und was machst du jetzt?«
Er zuckte die Schultern. »Weià nicht. Spielst du was mit mir? Monopoly?«
»Tut mir leid. Ich â¦Â« Der Gedanke war auf einmal da. »Ich muss nach Hamburg fahren.«
11
Christian Hunzicker wohnte in Wandsbek. StraÃen mit vierstöckigen Häusern aus rotem Klinker. Eine ältere Frau, die gerade ins Haus ging, lieà mich mit hinein, und so stand ich direkt vor Hunzickers Wohnungstür. Ich klingelte und fixierte den Türspion. Während der dreistündigen Fahrt hatte ich überlegt, wie ich ihn überzeugen konnte, wenn er das Gespräch verweigern wollte. Aus der Wohnung drang kein Geräusch. Und wenn er gar nicht zu Hause war?
Schön blöd. Warum kam mir der Gedanke erst jetzt? Es war früher Abend. Vielleicht war er im Schichtdienst oder machte Ãberstunden, oder war nach der Arbeit verabredet? Ich klingelte ein zweites Mal. Stille.
Es gab vier Personen, die über die damaligen Geschehnisse Auskunft geben konnten. Christian Hunzicker, Mark Winter, Helmut Eichstätt und Vanessa Ott. Die Bloomsdale-Leute würden niemals freiwillig darüber reden. Mir blieb nur der Verlobte von Katharina Schilling. Ich beschloss, es in einer Stunde erneut zu versuchen. Als ich schon auf der Treppe war, wurde die Tür aufgemacht.
»Was wollen Sie?« Seine Stimme traf mich in den Rücken.
Ich ging die wenigen Stufen wieder hinauf. Hunzicker sah aus, als hätte er geschlafen. Sein T-Shirt hing halb aus der Trainingshose, und ein paar Haarbüschel standen vom Kopf ab.
»Ich habe Sie heute Mittag angerufen. Ich bin Janne Amelung.«
Er kniff die Augen zusammen, taxierte mich. »Sagten Sie nicht, Sie rufen aus Berlin an?«
»Ja, das stimmt. Bitte, kann ich kurz reinkommen? Es ist sehr wichtig für mich.«
»Ich warne Sie. Wenn Sie mir mit einer von diesen Shows kommen â¦Â«
Ich schüttelte nur den Kopf. Vielleicht überzeugte ihn der verzweifelte Ausdruck in meinen Augen. Oder mein übernächtigtes Aussehen. Er wandte sich ab und ging in die Wohnung. Ich folgte ihm in einen winzigen Flur mit einer Garderobe, die aussah, als müsse sie durch die Last von Jacken und anderen Kleidungsstücken jeden Moment aus der Wand brechen. Zuoberst hing etwas WeiÃes aus robustem Stoff, ein Judoanzug.
Hunzicker setzte sich in den Wohnraum an einen mit Brötchenkrümeln bedeckten Esstisch. Der Fernseher lief, und auf dem Couchtisch standen Bierflaschen. Eine Tür führte in ein weiteres Zimmer. Ich sah die Ecke eines Bettes mit einer zerwühlten Decke.
»Bitte.« Ungeduldig zeigte er auf den zweiten Stuhl, und ich setzte mich. Gegenüber an der Wand hing eine gerahmte Fotografie von ihm und Katharina. Sie lehnten an einem Brückengeländer, im Hintergrund ein Fluss, ein Stück einer mittelalterlich wirkenden Stadtmauer, offenbar ein Schnappschuss aus dem Urlaub.
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