Die bessere Hälfte - warum nur Frauen die Wirtschaft nach vorn bringen
erstaunliche Stilblüten. Julie erinnert sich beispielsweise an die Bonus-Schecks eines größeren Wertpapierhandelshauses, bei dem sie tätig war, |98| die auf einen Betrag von 1 000 001 Dollar ausgestellt wurden. Der eine Dollar machte ganz sicher keinen materiellen Unterschied im Leben der Menschen, die ihn erhielten. Er war symbolisch zu verstehen, ein Mittel, um zu zeigen, dass die Empfänger dieser Bonuszahlung noch höher geschätzt wurden als die, die nur 1 000 000 Dollar erhalten hatten. Somit hatte dieser Dollar nur eine Bedeutung
für Mitarbeiter, die viel Wert auf leistungsbezogene Bewertung legen.
Unser Zufriedenheitsfragebogen legte nahe, dass Frauen dazu neigten, dem Punktezählen weniger Wert beizumessen und dass sie weniger intrinsische Motivation aus Konkurrenz zogen. Natürlich war auch ihnen eine Vergütung wichtig; vor allem wollten sie fair und gut bezahlt werden. Aber das Entgelt war bei den meisten lediglich Mittel zum Zweck Es ermöglichte ihnen und ihren Familien ein gutes Leben – statt Selbstzweck zu sein.
Die Frauen in unserer Studie legten viel Wert auf Gelegenheiten zu sozialer Interaktion und bewerteten die Qualität von Beziehungen, die sie im Job knüpften, als deutlich befriedigender als finanzielle Vergütungen. Sie gaben an, lieber mit ihren Kollegen zu kooperieren als zu konkurrieren. Sie waren häufiger als die männlichen Teilnehmer der Studie bereit, sich mit folgender Aussage einverstanden zu erklären: »Ich springe für andere in die Bresche, damit ein Projekt doch noch Erfolg hat.«
Das Projekt selbst
steht hier im Vordergrund, zum einen, weil es die Möglichkeit bietet, Beziehungen zu pflegen, zum anderen, weil Frauen das Gefühl brauchen, dass ihre Arbeit einem übergeordneten Zweck dient.
|99| Die Frauen legten auch mehr Wert als Männer auf Arbeit, die es ihnen ermöglichte, ihren familiären Aufgaben nachzukommen. Weil sie sowohl von dem motiviert werden, was Steven Pinker als intrinsische Belohnung (siehe Kapitel 2) bezeichnet, als auch von dem Wunsch, ihre Familien zu unterstützen, schätzten sie Arbeit, die ihnen keine mutmaßlich unzumutbaren Opfer im Familien- oder Privatleben abverlangte. Sie versuchten ihr Berufsleben und ihr häusliches Leben miteinander in Einklang zu bringen und neigten eher als die Männer in der Studie dazu, sich als Menschen zu beschreiben, die »sich darum bemühten, sich am Arbeitsplatz und zu Hause etwa gleich zu verhalten«. Demzufolge genossen sie es, die geschäftlichen und persönlichen Aspekte ihres Lebens unter einen Hut zu bekommen. Wie die Redenschreiberin, die wir in Kapitel 4 bereits kennen lernten, versuchten sie, zu Hause gewonnene Erkenntnisse am Arbeitsplatz einzubringen und umgekehrt, statt ihre privaten und dienstlichen Angelegenheiten streng voneinander zu trennen beziehungsweise zu kompartmentalisieren.
Außerdem fanden die Frauen es befriedigender, ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, statt sich ständig mit den Leistungen anderer zu messen. Ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen war ihnen deutlich wichtiger als zu gewinnen. Das war der Hauptgrund dafür, dass Konkurrenzdruck sie nicht ebenso stark beeinflusste wie Männer. Für sie stand der Arbeitsprozess im Vordergrund, weshalb sie auch weniger bereit dazu waren, Arbeit als Spiel zu betrachten.
Der Zufriedenheitsmaßstab, den Frauen in unserer Studie anlegten, steht im Gegensatz zu den meisten Unternehmenskulturen, |100| insbesondere zu denen in der Privatwirtschaft. Er widerspricht den Erwartungen, die Firmen an die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter haben. Er passt nicht zu der
Vision
, die Unternehmen davon haben, was Menschen motiviert, ihre Loyalität sichert und sie zu Höchstleistungen anspornt. Und er widerspricht auch dem, was die meisten Mainstream-Unternehmen landläufig unter Führungsqualität verstehen.
In den letzten zwanzig Jahren haben viele Führungskräfte gelernt, die Sprache der Mitwirkung und Teamarbeit zu sprechen. Doch die Art von Kollegialität, die die Frauen in unserer Umfrage schätzten, wird selten so gut vergütet wie das Konkurrenzdenken, das nach jeder Wegbiegung einen neuen Sieg wittert. In den meisten Vertriebsabteilungen wird es weder anerkannt noch belohnt, ein anderes Teammitglied zu unterstützen, damit es sein Ziel erreicht. Stattdessen wird jeder Einzelne aufgrund seiner individuellen Leistungen eingestuft und benotet.
So lange der Einzelne seine zahlenmäßigen Ziele erreicht, verursacht die
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