Die bessere Hälfte - warum nur Frauen die Wirtschaft nach vorn bringen
deutlich wichtigere Ressource für die Firmen sind als früher. Noch vor zwanzig Jahren rechnete man Beziehungsfähigkeit zu den Softskills. Ihre Pflege gehörte nach Ansicht der harten Strategen zum Aufgabengebiet der »Weicheier aus der Personalabteilung«. Heute betrachtet man sie eher als wesentliche Voraussetzung für Innovation, Teamwork, Kundenzufriedenheit, für die optimale Nutzung von Talenten sowie für die Weitergabe von Erfahrung.
In seinem Buch
Unsere kreative Zukunft: Warum wir unser Rechtshirnpotenzial entwickeln müssen
beschreibt der Autor Daniel Pink, warum die sich ständig verändernde Natur der Arbeit Beziehungen immer wichtiger hat werden lassen. 23 Er führt aus, dass das Industrie- und das Informationszeitalter analytische Fähigkeiten schätzte sowie die Fähigkeit, jenen vordefinierten Regeln zu folgen, die in Verfahrenshandbüchern oder Softwarecodes festgeschrieben wurden. Die Befolgung dieser Regeln ermöglichte es den Unternehmensmitarbeitern, Produkte zu reproduzieren und Wert daraus zu schöpfen.
Pink zeigt, dass unser gegenwärtiges »Konzeptionszeitalter« der Kreativität Wert beimisst, die durch Einfühlungsvermögen und Zusammenarbeit noch verstärkt wird. Deshalb prognostiziert er, dass die Fähigkeit, »die Feinheiten menschlicher Interaktionen« zu verstehen, in den kommenden Jahren zur
wichtigsten
Führungskompetenz |92| überhaupt avancieren wird. Diese Erkenntnis sollte Frauen mehr Vertrauen in den Wert ihrer Fähigkeit zur breitgefächerten Beobachtung geben. Diese fundamentale Komponente weiblicher Wahrnehmung wird ihnen mutmaßlich in der Zukunft große Dienste erweisen.
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Tag für Tag zufrieden
Männer und Frauen unterscheiden sich nicht nur durch die Art ihrer Wahrnehmung, sondern bewerten ihre Beobachtungen auch unterschiedlich. Die einzigartige Weise der Bewertung bildet das zweite Element der weiblichen Vision. Die weibliche Beimessung von Wert setzt die Dinge, die sie beobachten in einen übergeordneten Zusammenhang. Sie bestimmt, in welche Aufgaben sie Zeit, Energie und ihr Talent investieren wollen. Sie bestimmt, worauf sie ihre Aufmerksamkeit richten.
Durch die Interviews mit Frauen, die entweder eine Führungsposition aufgegeben hatten oder mit dem Gedanken spielten, konnten wir die Unterschiede herausarbeiten, wie Männer und Frauen Wert zuweisen. Einige dieser Frauen waren Klientinnen, andere waren Rednerinnen oder Gäste bei Podiumsdiskussionen auf Firmenevents oder bei akademischen Veranstaltungen, wieder andere waren bekannte Führungspersönlichkeiten, deren Entscheidungen in der Wirtschaftspresse publik gemacht worden waren. Bei der Aufzeichnung ihrer Geschichten verblüffte uns ein immer wiederkehrendes Leitthema, ein Satz, den wir immer wieder hörten.
Auf die Frage, was genau sie zu ihrer Entscheidung geführt |94| hatte, fasste die Mehrheit der Frauen ihr Empfinden mit folgender Bemerkung zusammen: »Ich fand, dass es der Mühe einfach nicht wert war.«
Was bedeutet das?
Es bedeutet, dass die Frauen, mit denen wir uns unterhielten, den Preis, den ihre Unternehmen von ihnen verlangten – in Form von Zeit, Stress, Lebensstil, Beziehungen – zu hoch fanden. Gratifikationen und Bonuszahlungen waren ihrer Auffassung zufolge kein adäquater Ausgleich. Es bedeutet
nicht
, dass jene Frauen nicht bereit waren, ihre Zeit zu opfern oder jenen Adrenalinschub zu erleben, den wir alle kennen, wenn wir unter Strom stehen oder einfach nur total begeistert von unserer Arbeit sind. Es bedeutet hingegen
durchaus
, dass diese Frauen vom traditionellen Gratifikationssystem ihrer Firmen nicht wirklich begeistert waren.
Warum nicht? Warum werden Jobs, die Generationen von Männern fraglos für wertvoll hielten, von Frauen nicht automatisch ebenfalls geschätzt? Bewerten Frauen anders? Und wenn ja, wie unterscheidet sich ihre Vision von Wert von dem Wertesystem, das ihre Firmen ihnen unterstellen? Woher kommt diese Diskrepanz?
In den letzten zwei Jahrzehnten hat man erkannt, dass die Struktur des Berufslebens von der Realität der Männer geprägt wird, denen, wenn überhaupt, abseits der Ernährerrolle nur wenige häusliche Pflichten zufallen. Trotzdem stellte man sich die Frage, ob das Gratifikationssystem am Arbeitsplatz auch ein Reflex männlicher Prioritäten ist. Unsere Studie legt eine fundamentale Diskrepanz zwischen dem, was Frauen (nicht alle, aber genug, um ins Gewicht zu fallen) tatsächlich schätzen und den Vermutungen der |95| Arbeitgeber,
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