Die bessere Hälfte - warum nur Frauen die Wirtschaft nach vorn bringen
Arbeitgeber verlangten von ihren Mitarbeitern, sich nach jedem abgeschlossenen Projekt – und sei es noch so anspruchsvoll – weiter zu steigern und die |109| Anstrengungen zu verdoppeln. Man vergaß, dass es so etwas wie eine Auszeit überhaupt gab.
Obwohl das Arbeitstempo vielen unerträglich vorkam, hatten die meisten keine Wahl, als sich weiter abzurackern. Krasnes Banker betrachteten unverhältnismäßig hohe Bonuszahlungen als angemessenen Ausgleich für ihre unaufhörlichen Anstrengungen. Immerhin basiert unser modernes Arbeitsleben auf genau diesem Tauschgeschäft – Zeit gegen Geld. Was sprach also dagegen, mehr Zeitaufwand durch mehr Geld zu vergüten?
Aber Frauen konnten diese Art der Logik einfach nicht glauben. Rückblickend macht es durchaus Sinn, dass Frauen seit den frühen Neunzigerjahren wieder deutlich seltener in gehobene Management-Positionen aufstiegen, denn dies war der Zeitpunkt, an dem die Anforderungen am Arbeitsplatz deutlich intensiver wurden. 11 Das unerbittliche und erschöpfende Tempo traf Frauen häufig härter, weil sie oft zu Hause noch eine »zweite Schicht« einlegen mussten. Es ist also nicht verwunderlich, dass einige der talentiertesten Frauen daraufhin ihre Unternehmen verließen oder auf eine Karriere als Führungskraft verzichteten.
Als die Unternehmen dieses Rätsel erkannten, versuchten viele, dem Exodus qualifizierter Mitarbeiterinnen entgegenzuwirken, indem sie flexible Arbeitszeiten und Home-Arbeitsplätze anboten, um eine bessere Work-Life-Balance zu schaffen. Workshops und Seminare zu diesem Thema wurden ein fester Bestandteil bei Frauen-Konferenzen, obwohl das zuweilen den Druck nur noch zu erhöhen schien. Sally erinnert sich beispielsweise an eine Networking-Veranstaltung, die ein Unternehmen Anfang des Jahrtausends |110| an einem Wochenende veranstaltete, und die an sich schon eine zweifelhafte Veranstaltung war: Die Tagung trug den Titel »The Balanced Woman« und fand um sieben Uhr morgens an einem Sonntagmorgen statt!
Doch unsere Studie legt nahe, dass das Tempo und die Intensität der Arbeit für Frauen nicht nur wegen ihrer vielfältigen Aufgaben ein Problem ist, sondern auch wegen der Lebensqualität, die sie sich in ihrem Alltag wünschen. 12 Das Ausmaß an Zufriedenheit, das alle Frauen in unserer Studie anstreben, steht in eindeutigem Konflikt zu den Vierundzwanzig-Stunden-Jobs, die seit den Neunzigerjahren zum guten Ton gehören. Da Frauen ihrer täglichen Erfahrung erheblich mehr Bedeutung beimessen als abstrakten Größen oder zukünftigen Aussichten, überrascht es nicht, dass sie es auch eher
bemerken
als Männer, wenn ihre Lebensqualität sich verschlechtert. Im Gegensatz zu Krasnes Investmentbankern tun Frauen sich schwer, eine genussvolle Lebensführung immer größeren Geldbeträgen zu opfern. Auch dies steht im Kontrast zur vorherrschenden Geschäftskultur, die annimmt, dass es
die Sache immer wert ist
: dass man bedenkenlos seine Zeit investieren sollte, wenn man nur genügend Geld dafür bekommt.
Vielleicht sind Frauen auch weniger bereit, den Wert dieses Austauschs anzuerkennen, weil sie den Stress und den Adrenalinschub, den Krasne erwähnt, anders erleben als Männer. Dr. Amy Arnsten, Professorin für Neurobiologie in Yale, beispielsweise erklärt, dass die hormonellen Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Tieren für das Ausmaß an Stress verantwortlich sind, den die Individuen erleben, und auch über ihre Fähigkeit bestimmen mit seinen |111| Auswirkungen fertig zu werden. 13 Sie hat festgestellt, dass Weibchen häufig erheblich stressanfälliger sind, weil das Östrogen die Erholungszeit zwischen den Stressreaktionen verlangsamt, während Männchen mehr Stimulation benötigen, um engagiert zu bleiben.
Wenn wir diese Forschungsergebnisse auf den Menschen extrapolieren, dann, so spekuliert Arnsten, kann man davon ausgehen, dass Frauen unter weniger stressigen Bedingungen besser funktionieren, während Männer stärker stimuliert werden müssen. Sie formuliert es folgendermaßen: »Männer scheinen anfälliger für Langeweile zu sein, während Frauen eher zu Stressreaktionen neigen.« 14
Arnsten entwickelte ein nützliches Tool, um die Unterschiede zu erfassen, wie Männer und Frauen Stress erleben, welches sie das »Langeweile/Stress-Kontinuum« nennt (siehe Abbildung). Dieses Modell hat die Form eines umgedrehten Us.
Im unteren linken Quadranten reflektieren die Gehirnwellen im präfrontalen Cortex einen Zustand der
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